2V = gemessen: 57 bis 90°; berechnet: 82 bis 90°[8]
Anthophyllit ist ein eher selten vorkommendes Mineral aus der Gruppe der orthorhombischen Amphibole innerhalb der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ mit der 2012 neu definierten und idealisierten chemischen Zusammensetzung ☐Mg2Mg5Si8O22(OH)2[1]. Anthophyllit ist damit chemisch gesehen ein Magnesium-Silikat mit zusätzlichen Hydroxidionen. Das Quadrat am Beginn der Formel stellt einen nicht vollständig besetzten Strukturplatz dar. Der Kristallstruktur nach gehört Anthophyllit zu den Kettensilikaten.
Bei natürlichen Anthophylliten kann das Magnesium in der Formel bis zu 40 Atom-%[9] durch Eisen vertreten (substituiert) sein. In verschiedenen Quellen wird daher eine Mischformel in der allgemeinen Form (Mg,Fe2+)2(Mg,Fe2+)5Si8O22(OH)2[5] oder der Kristallchemischen Strukturformel (Mg,Fe2+)7[OH|Si4O11]2[4] angegeben.
Anthophyllit kristallisiert im Orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt meist körnige, faserige und radialstrahlige Aggregate. Selten finden sich auch langprismatische Kristalle von bis zu 25 cm Länge[5] in verschiedenen Farben, wobei Braun vorherrschend ist. Andere Farben wie Grau-, Gelb- oder Grüntöne sind eingemischt, treten aber auch für sich auf. Unverletzte Kristalloberflächen weisen einen glasähnlichen Glanz auf, Spaltflächen schimmern dagegen eher perlmuttähnlich. Bei Verwitterung wird Anthophyllit matt.
Erstmals beschrieben wurde Anthophyllit 1801 durch Christian Friedrich Schumacher, dem als Fundort nur die Gegend um Kongsberg in Norwegen bekannt war.[10] Namensgebend waren für Schumacher wegen ihrer dunkelbraunen Farbe die Früchte der Gewürznelke, auch Mutternelke genannt, deren lateinischer Name Anthophylli lautet. Dieser Name leitet sich wiederum aus altgriechischἄνθοςánthos, deutsch ‚Blüte, Blume‘, und φύλλονphýllon, deutsch ‚Blatt‘ her.
In den folgenden Jahren wurden verschiedene Synonyme für den Anthophyllit verwendet wie unter anderem Anthogrammit (1820) und Antholith (1830) nach August Breithaupt, prismatischer Schillerspat (1821) nach Robert Jameson, Anthophyllite rayonne (1822) nach René-Just Haüy, Gedrit (1836) nach Armand Dufrénoy und Kupfferit (1862) nach Hans Rudolph Hermann. 1837 gab James Dwight Dana dem Mineral zudem die Bezeichnung augitus phyllinus, verwarf diese jedoch 1850 in der dritten Ausgabe seines Werkes System of Mineralogy und führte Gedrit und Anthophyllit als Varietäten der Hornblende auf.[11]
Anthophyllit war bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt. Damit hätte Anthophyllit theoretisch den Status eines grandfathered Mineral. In dem 2012 von Vertretern der Commission on new Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) der International Mineralogical Association (IMA) publizierten Werk Nomenclature of the amphibole supergroup (deutschNomenklatur der Amphibol-Supergruppe) wurden die Gruppen der verschiedenen Amphibole neu definiert und eingeteilt. Anthophyllit erhielt als eines der Endglieder der orthorhombischen Magnesium-Eisen-Mangan-Amphibole die Endgliedformel ☐Mg2Mg5Si8O22(OH)2.[12] Da dies automatisch eine nachträgliche Ankerkennung für den Anthophyllit bedeutete, wird das Mineral seitdem in der „Liste der Minerale und Mineralnamen“ der IMA unter der Summenanerkennung „2012 s.p.“ (special procedure) geführt.[1]
Als genaue Typlokalität gilt inzwischen ein kleiner Steinbruch (Anthophyllit-Prospektion) beziehungsweise die Abraumhalden einer alten Silbermine nahe dem Kjennerud-See, der zur Kommune Kongsberg in der norwegischen Provinz Buskerud gehört.[13] Ein Aufbewahrungsort für das Typmaterial des Minerals ist allerdings nicht dokumentiert.[14]
In der vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchlichen Systematik der Minerale nach Dana hat Anthophyllit die System- und Mineralnummer 66.01.02.02. Auch dies entspricht der Klasse der „Silikate“, dort aber der bereits feiner unterteilten Abteilung „Kettensilikate: Doppelte unverzweigte Ketten, W=2“. Hier findet er sich innerhalb der Unterabteilung „Kettensilikate: Doppelte unverzweigte Ketten, W=2 Amphibol-Konfiguration“ in einer unbenannten Gruppe mit der Systemnummer 66.01.02, in der auch Lobanovit, Proto-Anthophyllit, Ferro-Anthophyllit, Proto-Ferro-Anthophyllit, Proto-Ferro-Suenoit, Gedrit, Ferro-Gedrit, Ferro-Papikeit, Papikeit, Holmquistit und Ferro-Holmquistit eingeordnet sind.
Chemismus
In der idealisierten chemischen Zusammensetzung (Endgliedformel von Anthophyllit (☐Mg2Mg5Si8O22(OH)2) besteht das Mineral im Verhältnis aus je 7 Anteilen Magnesium (Mg), 8 Anteilen Silicium (Si), 24 Anteilen Sauerstoff (O) und 2 Anteilen Wasserstoff (H).
Bei natürlichen Anthophylliten kann die Zusammensetzung allerdings je nach Bildungsbedingungen mehr oder weniger schwanken, das heißt geringe Anteile der Hauptelemente durch Fremdelemente ersetzt sein. So ermittelten E. M. Walitzi, F. Walter und K. Ettinger bei der Analyse von Anthophyllitproben vom Ochsenkogel47.21027777777815.086111111111 in der Gleinalpe (Steiermark) in Österreich die empirische Formel (Na0,01Ca0,02Mg0,76Fe1,21)2[7](Mg4,95Fe0,03Mn0,02)5[6][(Si7,95Al0,05)8O22](OH)2. Magnesium ist hier also zum Teil durch Natrium, Calcium, Eisen und Mangan sowie Silicium zum Teil durch Aluminium vertreten.[7]
Vor dem Lötrohr wird Anthophyllit grünlichschwarz, verliert seinen Glanz und wird mürbe, schmilzt aber nicht. Die Boraxperle wird dabei nur wenig aufgelöst und färbt sich grünlichgelb oder lauchgrün bis olivgrün.[10]
Die Bezeichnung Kupfferit, benannt nach dem deutsch-baltischen Physiker, Mineralogen und Physikochemiker Adolph Theodor Kupffer, ist ein Synonym für zwei verschiedene Varietäten von Anthophyllit:
Magnesio-Anthophyllit wurde von Allen and Clement erstbeschrieben und stellte sich bei späteren Analysen als magnesiumhaltige Varietät heraus[16]
eine chromhaltige Varietät wurde erstmals von Koksarov beschrieben[17]
Als eher seltene Mineralbildung kann Anthophyllit an verschiedenen Orten zum Teil zwar reichlich vorhanden sein, insgesamt ist er jedoch wenig verbreitet. Weltweit sind bisher knapp 800 Vorkommen dokumentiert (Stand 2024).[18] Bekannte Vorkommen sind neben seiner Typlokalität Kongsberg in Norwegen unter anderem das Gebiet um Bodenmais in Niederbayern (Deutschland) und die Oblast Swerdlowsk im russischen Föderationskreis Ural. Anthophyllitasbest-Lagerstätten kennt man aus Paakkila (Gemeinde Tuusniemi), Rikkavesi und Usinmäki in Finnland, Hamersley in Australien sowie die Sall Mountains in den US-Bundesstaaten Georgia und North Carolina.[9]
Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S.96 (rruff.info [PDF; 814kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
John C. Rabbitt: A new study of the anthophyllite series. In: American Mineralogist. Band33, 1948, S.263–323 (englisch, rruff.info [PDF; 4,5MB; abgerufen am 5. Dezember 2024]).
E. M. Walitzi, F. Walter, K. Ettinger: Verfeinerung der Kristallstruktur von Anthophyllit vom Ochsenkogel/Gleinalpe, Österreich. In: Zeitschrift für Kristallographie. Band188, 1989, S.237–244 (rruff.geo.arizona.edu [PDF; 715kB; abgerufen am 6. Dezember 2024] mit englischer Kurzbeschreibung).
Anthophyllite search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF); abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
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Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
↑ abHugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S.625 (englisch).
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E. M. Walitzi, F. Walter, K. Ettinger: Verfeinerung der Kristallstruktur von Anthophyllit vom Ochsenkogel/Gleinalpe, Österreich. In: Zeitschrift für Kristallographie. Band188, 1989, S.237–244 (rruff.geo.arizona.edu [PDF; 715kB; abgerufen am 6. Dezember 2024] mit englischer Kurzbeschreibung).
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Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S.96 (rruff.info [PDF; 814kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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John C. Rabbitt: A new study of the anthophyllite series. In: American Mineralogist. Band33, 1948, S.266 (englisch, rruff.info [PDF; 4,5MB; abgerufen am 5. Dezember 2024]).
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Frank C. Hawthorne, Roberta Oberti, G E. Harlow, W V. Maresch, R F. Martin, J C. Schumacher, M D. Welch: Nomenclature of the amphibole supergroup. In: American Mineralogist. Band97, 2012, S.2031–2048; hier: 2035, The magnesium-iron-manganese amphiboles (englisch, rruff.info [PDF; 678kB; abgerufen am 5. Dezember 2024]).
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Typlokalität von Anthophyllit beim Mineralienatlas und bei Mindat, abgerufen am 5. Dezember 2024.