Alois Maria Haas wuchs als drittes von vier Kindern eines Bäckermeisters auf.[2] Er besuchte von 1949 bis 1955 das Gymnasium des Benediktinerklosters Engelberg, wo er zum ersten Mal mit den Schriften der deutschen Mystiker in Berührung kam.[3] Mit 17 schrieb er den Theologen Hans Urs von Balthasar an, der zu einem wichtigen geistlichen Lehrer und Mentor wurde.[3] Ab 1955 studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte an Universitäten von Zürich, Berlin, Paris und München. Während seines Studiums absolvierte er zwei Jahre Militärdienst in der Schweiz. Er promovierte 1964 bei Max Wehrli mit einer Arbeit über WolframsParzival. Seine Habilitation in Germanistik über den Aufruf zur Selbsterkenntnis bei den Mystikern Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse erfolgte 1969.
Von 1969 bis 1971 war Haas ausserordentlicher Professor an der McGill University in Montreal, anschliessend ausserordentlicher und ab 1974 ordentlicher Professor am Lehrstuhl für «deutsche Literaturgeschichte von den Anfängen bis 1700» in Zürich. 1978 wurde ihm von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) der Ehrendoktortitel verliehen. 1999 wurde er emeritiert.
Ab 2000 war er mit der Psychotherapeutin Paula Arvio-Haas verheiratet. Ab 2001 schenkte Haas einen Grossteil seiner Bibliothek, ungefähr 40’000 Bände, der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, die im Juli 2003 die Bibliotheca Mystica et Philosophica Alois Maria Haas eröffnete.[4][5] 2009 erhielt er von dieser Universität seinen zweiten Ehrendoktortitel. Haas starb am 12. Januar 2025 nach längerer Krankheit im Alter von 90 Jahren.[6]
Denken
Alois M. Haas befasste sich jahrzehntelang mit der abendländischen Spiritualitätsgeschichte und religionsphilosophischen Fragen. In seinen späteren Jahren beschäftigte er sich mit der theistischen und atheistischen Mystik.[7] Als katholischer Intellektueller war er bemüht, sich einen Reim auf die Unsicherheit zu machen, «die heute unsere geistigen Inspirationen aufs Absolute beherrscht». Nach seiner Erfahrung gibt es kein Dunkel ohne Licht, das Dunkel sei selber Licht, das sich in Lebenswirklichkeiten erahnen lasse.[8] Vom Suhrkamp-Verlag wurde er als «der unbestrittene Meister der sogenannten Deutschen Mystik» bezeichnet.[9]
Schriften
Alois Maria Haas veröffentlichte Bücher und über 200 Artikel, Aufsätze und Beiträge in wissenschaftlichen Publikationen. Mehrere seiner Bücher wurden in andere Sprachen übersetzt.
Bücher
Parzivals «tumpheit» bei Wolfram von Eschenbach. Schmidt, Berlin 1964 (= Philologische Studien und Quellen. Band 21).
Nim din selbes war. Studien zur Lehre von der Selbsterkenntnis bei Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1971.
Das «Einig Ein». Studien zu Theorie und Sprache der deutschen Mystik. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1980, ISBN 3-7278-0221-9.
Christus in uns. Mystische Strömungen von Angelus Silesius bis Tersteegen. Evangelische Akademie Baden, Karlsruhe 1983, ISBN 3-88450-046-5.
Geistliches Mittelalter. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1984, ISBN 3-7278-0306-1.
Deum mistice videre … in caligine coincidencie. Zum Verhältnis Nikolaus’ von Kues zur Mystik. Helbing und Lichtenhahn, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-7190-1051-1.
Die dunkle Nacht der Sinne. Leiderfahrung und christliche Mystik. Patmos, Düsseldorf 1989, ISBN 3-491-77786-0.
Todesbilder im Mittelalter. Fakten und Hinweise in der deutschen Literatur. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-06719-3.
Gottleiden – Gottlieben. Zur volkssprachlichen Mystik im Mittelalter. Insel, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-458-16009-4.
Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1989, ISBN 3-7278-0189-1.
Eckardus Theutonicus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozess gegen Meister Eckhart. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1992, ISBN 3-7278-0773-3.
Theologia deutsch. «Der Franckforter» (Johannes de Francfordia). Johannes, Freiburg i. B. 1993, ISBN 3-89411-279-4.
Meister Eckhart als normative Gestalt geistlichen Lebens. Johannes, Freiburg i. B. 1995, ISBN 3-89411-141-0.
Kunst rechter Gelassenheit. Themen und Schwerpunkte von Heinrich Seuses Mystik. Lang, Berlin / Bern 1996, ISBN 3-906756-82-3.
Der Kampf um den Heiligen Geist – Luther und die Schwärmer. Uni-Verlag, Freiburg i. Ü. 1997, ISBN 3-7278-1114-5.
Schwierige Frauen – schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters. Lang, Berlin / Bern 1999, ISBN 3-906760-45-6.
Mystik – Überlieferung – Naturkunde. Gegenstände und Methoden mediävistischer Forschungspraxis. Olms-Weidmann, Hildesheim 2002, ISBN 3-487-11805-X.
Nietzsche zwischen Dionysos und Christus. Einblicke in einen Lebenskampf. Hrsg. und mit einem Essay von Hildegard Elisabeth Keller. DreiPunktVerlag, Wald/Zürich 2003, ISBN 3-905409-06-2.
Mystik als Aussage. Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik. Mit einem Namen- und Sachregister von Louise Gnädinger. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt / Leipzig 2007, ISBN 978-3-458-72003-4.
«… das Letzte unserer Sehnsüchte erlangen.» Nikolaus von Kues als Mystiker. Trierer Cusanus Lecture. Paulinus, Trier 2008, ISBN 978-3-7902-1482-6.
Wind des Absoluten. Mystische Weisheit der Postmoderne? Johannes, Freiburg i. B. 2009, ISBN 978-3-89411-409-1.
1990–2000: Herausgeber der Nova Acta Paracelsica. Band 6–14. Lang, Bern.
Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700. Band 1–38. Lang, Bern.
Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik. Bouvier, Bonn.
Hörbuch
Mein Geist hat sich verwildet. Alois M. Haas erzählt eine persönliche Geschichte der Mystik. Konzeption und Regie: Dagmara Kraus, Klaus Sander. Erzähler: Alois M. Haas, Box mit 3 Audio-CDs und Booklet. Supposé, Wyk auf Föhr 2021, ISBN 978-3-86385-202-3
Claudia Brinker-von der Heyde: Laudatio auf Alois M. Haas. In: Michael Stolz und Robert Schöller (Hrsg.): Germanistik in der Schweiz (GiS). Zeitschrift der Schweizerischen Akademischen Gesellschaft für Germanistik. Heft 13/2016. germanistik.ch, Bern 2016, S. 19–26.
Matthias Grässlin: Ein frommer Bruder Stachanov. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 17. Oktober 1996, Nr. 242, S. 44–45 (Rezension von: Alois M. Haas: Mystik als Aussage. Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996).
Christine Voss: Als Christen sind wir Begeisterte – Zur Rolle der Mystik – gestern, heute, morgen. In: Kirchenbote der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons St. Gallen. Januar 2007 (Interview mit Alois M. Haas).
↑Rachel Vogt: «Ich komme aus der Gosse». In: Die Wochenzeitung, 24. Juli 2008, S. 18.
↑ abClaudia Brinker-von der Heyde: Laudatio auf Alois M. Haas. In: Michael Stolz und Robert Schöller (Hrsg.): Germanistik in der Schweiz (GiS). Zeitschrift der Schweizerischen Akademischen Gesellschaft für Germanistik. Heft 13/2016. germanistik.ch, Bern 2016, S. 19.
↑Haas Library. In: Universitat Pompeu Fabra Barcelona - Centre for Aesthetics, Religion and Contemporary Culture. Abgerufen am 15. Januar 2025 (englisch).
↑Alois M. Haas: Bibliotheca Mystica et Philosophica. In: Neue Zürcher Zeitung. 1. Dezember 2007, ISSN0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 15. Januar 2025]).
↑Thomas Ribi: Das Undenkbare denken: Der Mystikforscher Alois M. Haas ist gestorben. In: Neue Zürcher Zeitung. 14. Januar 2025, ISSN0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 15. Januar 2025]).