Seit dem Beitritt Estlands, Lettlands und Litauen zur NATO 2004 wird die Überwachung und Sicherung des Luftraums von Luftstreitkräften verschiedener NATO-Staaten übernommen.[1] Im Jahre 2006 übernahmen die litauischen, lettischen und estnischen Streitkräfte die Luftraumüberwachung mittels ihrer Zusammenarbeit im Baltic Air Surveillance Network (BALTNET). Die Luftstreitkräfte der baltischen Staaten verfügen nur über Hubschrauber, Transport- und Schulungsflugzeuge, jedoch nicht über Kampfflugzeuge. Deshalb sind sie noch nicht in der Lage, Sichtidentifikation durchzuführen oder – z. B. durch Abfangen oder Abdrängen – ihre Lufthoheit selbst durchzusetzen.
Durchführung der Mission
Flughafen Šiauliai
Flughafen Ämari
Militärflugplatz Lielvārde
Šiauliai, Haupt-Stationierungsort, und Ämari, dient als erster Ausweichplatz, weitere Ausweichplätze in Lielvārde und (außerhalb des Kartenausschnitts) Malbork in Pommern
Für die Sicherung des Luftraums der baltischen Staaten wurden deshalb auf dem Flughafen Šiauliai in Litauen Jagdflugzeuge stationiert. Seit Mai 2014, nach Abschluss der Modernisierung des Luftwaffenstützpunkts Ämari, sind auch in Estland NATO-Flugzeuge stationiert. Schon ab Oktober 2010 konnten Kampfjets der Verbündeten die Basis in Ämari für Trainingsflüge nutzen.[2]
Die Kontingente umfassen typischerweise vier Flugzeuge und etwa 100 Mann Personal. Zu Beginn fanden Kontingentwechsel nach drei Monaten statt. Mit Wirkung vom 1. September 2009 wurde der Zeitraum auf vier Monate verlängert.[3] Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 wurde die Einsatzdauer ausgedehnt. So soll der Anfang August 2022 begonnene Einsatz der Luftwaffe bis Ende Mai 2023 dauern.[4] Nach je einer „kalten Woche“ zu Beginn, in der die Piloten nur Trainingsflüge absolvieren, werden die Flugzeuge mit scharfen Raketen bestückt.[5]
Zur Luftraumüberwachung entsandte die NATO bis 2006 entsprechendes Fachpersonal, zum Beispiel Soldaten aus dem Einsatzführungsdienst der Luftwaffe, zur Luftraumkontrolleinheit in Kaunas/Litauen. Offiziere der baltischen Staaten wurden in Deutschland zu Jägerleitoffizieren ausgebildet, um die Luftraumüberwachung ab 2006 eigenständig fortzusetzen.[6]
Infolge der Proteste in der Ukraine wurde Anfang 2014 die US-amerikanische F-15C-Rotte verstärkt, inklusive Bereitstellung eines Tankflugzeugs vom Typ Boeing KC-135 vom Stützpunkt RAF Mildenhall. Der britische Verteidigungsminister Philip Hammond gab zudem am 17. März 2014 bekannt, dass die Royal Air Force in der Lage sei, die amerikanischen Jets und ab Mai die polnische Luftwaffe durch die Entsendung von Eurofighter Typhoon zu verstärken.[7]
Am 17. März 2014 gab die russische Luftwaffe die Stationierung eines Jagdfliegerregiments mit 24 Su-27SM3 auf dem Militärflugplatz Baranawitschy im benachbarten Belarus bekannt,[8] seit dem 8. Dezember 2013 waren dort vier Su-27SM3 und ein AWACS-Flugzeug vom Typ Berijew A-50 stationiert.[9] Zusätzlich waren von Mitte März bis Anfang Juni 2014 auf dem belarussischen Militärflugplatz Bobrujsk sechs russische Su-27 stationiert.[10] 2014 gab es über der Ostsee 150 Sichtungen russischer Flugzeuge, die weder Flugpläne eingereicht, noch ihren Transponder eingeschaltet hatten; dies war dreimal mehr als im Jahr 2013, weshalb 2015 zunächst die Anzahl der patrouillierenden NATO-Flugzeuge auf 16 verdoppelt wurde.[11] Von Januar bis Mitte August 2015 mussten Nato-Flugzeuge mehr als 100-mal aufsteigen, um russische Militärflugzeuge zu identifizieren.[12] 2016 waren es 110 Einsätze.[13]
Ursprünglich war geplant, dass die Luftwaffen der baltischen Staaten ab 2018 so weit aufgebaut sind, dass diese fortan die Luftraumüberwachung und -sicherung selbst durchführen können. Als abzusehen war, dass dieses Ziel voraussichtlich nicht erreicht werden würde, beschloss der NATO-Gipfel 2013 in Chicago, das Programm bis auf Weiteres unbefristet fortzuführen.[14]
Seither wird der Einsatz von der Luftwaffe offiziell als Verstärktes Air Policing Baltikum bezeichnet.[15]
Im Jahre 2016 waren in der Regel jeweils 10 Flugzeuge eingesetzt, nämlich 6 in Ämari und 4 in Šiauliai. 2019 waren anfangs 13, dann 12 Flugzeuge im Einsatz. 2020 wurde deren Zahl auf 8 verringert.[16]
Im Sommer 2020 kam es auch erstmals zu einer bilateralen Kooperation zwischen deutschen Eurofightern und britischen Typhoons, bei der ein Kontingent des deutschen TaktLwG 71 in das britische 135 Expeditionary Air Wing integriert wurde[17].
Nach der Modernisierung gemäß dem NATO-Standard dient der lettische Militärflugplatz Lielvārde seit 2023 als eine weitere Ausweichbasis des Air Policing Baltikum.[18] Im Jahr 2024 springt er zum Beispiel während des Umbaus von Ämari ein.[19]
Kontingente
Die in der folgenden Tabelle angegebenen Daten zum Kontingentwechsel können an einzelnen Standorten (Šiauliai, Ämari, Malbork) um wenige Tage abweichen, entsprechend den bilateralen Absprachen zwischen den jeweils kommenden und gehenden Kontingenten. Nach der Annexion der Krim 2014 und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 kam es zeitweilig zu einer Verstärkung der Kontingente und zu längeren Überlappungen von Kontingenten, teilweise auch unter anderem Namen bzw. im Rahmen getrennter Missionen wie enhanced Vigilance Activity (eVA). Seit ihren Beitritten zur NATO 2023/24 unterstützen auch finnische und schwedische Kampfflugzeuge die Mission von ihren jeweiligen Heimatplätzen aus.[20]
F-2000A Typhoon (Šiauliai)[80] Rafale B (Šiauliai) F-35A Lightning II (Ämari)[81]
Zwischenfälle
30. August 2011: Eine französische Mirage kollidiert mit einer litauischen Trainingsmaschine L-39, die Maschine stürzte in einen Sumpf. Beide Piloten überlebten den Absturz.[82]
29. April 2013: Eine dänische F-16 landete in Tallinn, nachdem sie einen Vogelschlag erlitten hatte, der geringfügige Motorschäden verursachte.[83]
9. Oktober 2015: Der rechte Außentank eines deutschen Eurofighter fiel auf dem Rollweg am Luftwaffenstützpunkt Ämari ab.[84]
8. August 2018: Ein spanischer Eurofighter startete versehentlich eine AMRAAM-Rakete ohne Ziel, während er über Estland patrouillierte. Es wurde nicht bestätigt, dass sich die Rakete wie geplant selbst zerstörte.[85]
Literatur
Heather Conley, Matthew Melino, Holly Geffs: A Need for Greater Air Defence in the Baltic Region. In: Andris Sprūds, Māris Andžāns (Hrsg.): Security of the Baltic Sea region revisited amid the Baltic centenary. Latvian institute of International Affairs, Riga 2018, ISBN 978-9934-567-24-7, S. 43–55.
↑Glen E. Howard: Enabling Deterrence: U.S. Security Policy Toward the Baltic. In: Andris Sprūds, Māris Andžāns (Hrsg.), Una Aleksandra Bērziņa-Čerenkova (Red.): Security of the Baltic Sea Region Revisited amid the Baltic Centenary. Latvian Institute of International Affairs, Riga 2018, ISBN 978-9934-567-24-7, S. 83–98, hier S. 86–90: From Baltic air policing to air defence.
↑Luftwaffe sichert das Baltikum. In: Recklinghäuser Zeitung, 2. August 2022, S. 16.
↑Johannes Leithäuser: Solidarität und Abschreckung. Die NATO verstärkt ihre Präsenz im Baltikum. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 2015, S. 2.
↑Florian Hassel: Unerwünschter Luftverkehr. Die baltischen Staaten registrieren über der Ostsee mehr russische Militärjets denn je. In: Süddeutsche Zeitung, 22. Mai 2015, S. 7.
↑Johannes Leithäuser: Amerika schickt F-22-Kampfflugzeuge nach Europa. Deutschland übernimmt Überwachung des Luftraums im nördlichen Baltikum. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. August 2015, S. 2.
↑Damien Sharkov: Russian Aircraft Intercepted 110 Times Above Baltic in 2016. In: Newsweek, 4. Januar 2017.
↑Craig Hoyle: NATO rotates Baltic air policing force. In: Flightglobal.com. 5. Mai 2015, abgerufen am 8. Mai 2015 (englisch): „Four of the Royal Norwegian Air Force’s Lockheed Martin F-16AMs assumed lead responsibility for the mission at Šiauliai air base in Lithuania on 1 May, where they are supported by the same number of Eurofighters from the Italian air force. […] A continuing presence at Amari air base in Estonia involves the UK Royal Air Force deploying a quartet of Eurofighter Typhoons, while the Belgian air force has positioned four of its F-16s at Malbork in Poland.“
↑Beth Stevenson: UK hands Typhoon baton over to Germany for NATO mission. In: Flightglobal.com. 27. August 2015, abgerufen am 28. August 2015 (englisch): „Notably, the coming rotation will see the BAP mission halved, with the number of aircraft allocated to each period to be reduced from 16 to eight. NATO maintains that the readiness level will not be effected by the reduction.“
↑Allies continue to safeguard NATO skies as ItalÄmariy take over Baltic Air Policing in Lithuania. In: Allied Air Command. 30. Juli 2024, abgerufen am 28. August 2015 (englisch): „Notably, the coming rotation will see the BAP mission halved, with the number of aircraft allocated to each period to be reduced from 16 to eight. NATO maintains that the readiness level will not be effected by the reduction.“