Agnes Kraus erhielt ihre künstlerische Ausbildung in den späten 1920er-Jahren bei Leopold Jessner am Preußischen Staatstheater Berlin, der sie irrtümlicherweise als künftige Tragödin sah. In Annaberg-Buchholz, ihrem ersten Engagement, bekam sie eine tragische Rolle: sie spielte die Hauptrolle in SchillersMaria Stuart und die Helena aus ShakespearesSommernachtstraum. Ab 1936 war sie in kleinen Rollen an der Berliner Volksbühne unter Eugen Klöpfer zu sehen. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete sie bei den Münchner Kammerspielen, ehe sie die Bühne verließ und zum mainfränkischen Puppentheater wechselte. Dem Puppenspiel widmete sich Agnes Kraus fortan einige Jahre. Nach dem Krieg betrieb sie gemeinsam mit ihrer Schwester ein eigenes Puppentheater und trat mit selbstgebastelten Puppen zu Veranstaltungen und in Schulen auf. Parallel dazu setzte sie ihre schauspielerische Laufbahn am Brandenburger Theater in Brandenburg (Havel) fort. Später war sie am Theater in Potsdam engagiert, wo sie als Darstellerin in Klassikern nur wenig Erfolg hatte. Hier fiel sie Bertolt Brecht auf, der sie 1951 zum Berliner Ensemble holte. Über 20 Jahre gehörte sie dem Ensemble an. Bei einer Aufführung in Paris spielte sie die Hauptrolle. Brecht selbst vergab an sie oft Arbeiterrollen. Agnes Kraus’ Lieblingsrolle war die der Witwe Queck aus Brechts fragmentarischem Stück Der Brotladen, in dem eine Geschichte aus dem Berliner Arbeiterleben der 1920er-Jahre erzählt wird.
Erst Ende der 1960er-Jahre, als sie bereits 58 Jahre alt war, erlangte sie besonders große Popularität durch heitere Fernsehrollen in Dolles Familienalbum (Fernsehserie, 1969) oder Florentiner 73 (TV, 1972), bei denen sie die Tante Minna beziehungsweise die Mutter „Klucke“ verkörperte. Ihr großes komödiantisches Talent, das noch zaghaft mit Werner Bernhardts Mehrteiler Dolles Familienalbum anfing, blühte unter der Regie von Klaus Gendries in Florentiner 73 richtig auf. Nach dem großen Erfolg des Films entstand auf vielfachen Wunsch zwei Jahre später die Fortsetzung Neues aus der Florentiner 73. Mit ihrem trockenen Humor spielte Agnes Kraus wiederholt die liebenswerte Berliner Zimmerwirtin.
In den folgenden Jahren gestaltete sie in zahlreichen DDR-Fernsehfilmen in Hauptrollen solche Charaktere, die durch ihre sympathisch-resolute, schrullige Art, gepaart mit ihrem unnachahmlichen Tonfall[1] der Darstellerin zum „Berliner Original mit Herz und Schnauze“ gerieten. In den Frauen, die sie spielte, die so schlitzohrig-sympathisch zurechtweisen konnten, steckte immer eine Menge an Lebensweisheit und Weichheit. Neben Winfried Glatzeder war sie 1972 in dem DEFA-Hit Der Mann, der nach der Oma kam zu sehen. Dreimal sorgte sie neben Rolf Herricht für Heiterkeit (Die Musterknaben, Hände hoch oder ich schieße, Der Baulöwe).
Als Gemeindeschwester „Agnes Feurig“ oder Tierarztwitwe „Alma“ spielte Agnes Kraus bis Mitte der 1980er Jahre in zahlreichen Komödien, Lustspielen und Schwänken.
In der populären Rolle der Schwester Agnes (1975) aus Krummbach (Oberlausitz) kümmerte sie sich, auf einer Schwalbe durchs Land fahrend, um die ärztliche Überlandbetreuung. Als Gemeindeschwester tritt sie mit der ihr eigenen Unerschrockenheit und auf unorthodoxe Weise für die gute Sache ein. Ebenfalls 1975 wurde der Film Eine Stunde Aufenthalt gedreht, in dem ein Stromausfall bei der Berliner S-Bahn für eine heiter-besinnliche Milieuzeichnung sorgt. Der Film entstand nach einer Erzählung der Berliner Autorin und Filmkritikerin Renate Holland-Moritz, die in der DDR für ihre Satiren und bissigen Kritiken berühmt war. In den Hauptrollen dieses Films agierten viele Publikumslieblinge wie Günter Naumann und Helga Hahnemann. 1976 spielt sie neben Erwin Geschonneck eine Charakterrolle in dem Film Ein altes Modell, einer heiter-besinnlichen Geschichte. Geschonneck spielt den Part des Bruno Nakonz, der an einem Morgen feststellen muss, dass ihm seine elektrische Kaffeemühle den Dienst verweigert. Er erhofft eine Sofortreparatur, was sich aber als schwierig herausstellt. Seiner Frau (Agnes Kraus) erzählt er über seine Erfahrungen mit der Reparatur nichts.
Auch im Hörfunk arbeitete sie viel und erfolgreich. Im Hörspiel bekam sie häufig große und auch tragische Rollen. Im Hörfunk-Porträt Also ick weeß nicht von Ulrich Griebel sind unter anderem Ausschnitte aus den Hörspielen Frieda und Woyzeck zu hören. Des Weiteren sind dort auch Interviews und Szenenausschnitte aus Bühnenstücken zu hören, in denen Agnes Kraus mitspielte, wie in der Oper Die Verurteilung des Lukullus von Bertolt Brecht und Paul Dessau sowie dem Brecht-Dramenfragment Der Brotladen.
Im Jahr 1986 zog sich die Künstlerin, die achtmal zum Fernsehliebling der „FF dabei“ gewählt wurde, aufgrund einer allergischen Erkrankung weitestgehend aus ihrem Beruf zurück. Ein letztes Mal gastierte sie 1993/1994 am Berliner Ensemble.
Leben
Ihr Vater Albert Krause war Bankangestellter und ihre Mutter Anna Schulze hatte eine künstlerische Ader. Als Kind lernte Agnes Klavier. Nach eigener Aussage übte sie täglich zwei bis drei Stunden Klavier.[2]
Ihre ältere Schwester Rohtraut Schlicht († 2004) war Chefrequisiteurin am Berliner Metropoltheater. Nach dem Tod der Eltern gab sie den Beruf auf und führte den gemeinsamen Haushalt.
Während ihrer frühen Theaterarbeit lernte sie Jürgen Fehling kennen. Mit ihm lebte sie einige Jahre zusammen. Danach kam sie ans Berliner Ensemble zu Brecht.
Sie wohnte viele Jahre in Kleinmachnow. Hier wurde Agnes Kraus auch auf dem Waldfriedhof an der Seite ihrer Eltern und Schwester zur letzten Ruhe gebettet. Ihr Grab befindet sich in der Nähe von Karla Runkehl, mit der sie unter Regisseur Günter Stahnke 1965 „Der Frühling braucht Zeit“ gedreht hatte, der einer jener Filme war, die 1965 verboten wurden.
Mehr als zwei Jahrzehnte, von 1972 bis zu ihrem Tod 1995, wohnte sie anschließend zusammen mit ihrer Schwester in der Mellenseestraße in Berlin. Auf dem in der Nähe befindlichen Weg entlang des Kraatzgrabens, quer durch das Wohngebiet zwischen Sewan- und Erich-Kurz-Straße, ging sie häufig spazieren. Ihr zu Ehren wurde deshalb am 16. Februar 2011, ihrem 100. Geburtstag, ein Gedenkstein an der Einmündung des Kraatzgrabens/Tränkegrabens, nahe der Sewanstraße 43, enthüllt.
Die Gründe für die enorme Popularität von Agnes Kraus liegen in ihrem originellen Spiel. Bertolt Brecht schätzte Agnes Kraus hoch ein, da sie nach seiner Auffassung seinen Verfremdungseffekt von sich aus umsetzte, sodass er es nicht erklären musste.[2] Prägnant für ihr Spiel war ihr besonderer Tonfall,[1] den sie in tragische und komische Rollen einbrachte. Agnes Kraus Schauspiel wurde von Kritikern als einmalig wahrgenommen. Bezeichnend war ihre sympathische Direktheit, bei der sie stets achtungsvoll auftrat und deswegen auch als Grande Dame galt. Gleichzeitig wurde sie als Berliner Original mit Herz und Schnauze wahrgenommen und galt aufgrund ihres großen Erfolges als Volksschauspielerin.
Agnes Kraus wurde achtmal zum Fernsehliebling der FF dabei gewählt und fünfmal zum Fernsehliebling der DDR. Zu den bekanntesten Momenten ihrer Karriere als Filmschauspielerin zählen ihre Auftritte in Florentiner 73 und Schwester Agnes. Weiterhin war sie in zahlreichen bedeutenden und erfolgreichen Filmen der UFA und DEFA als Charakterschauspielerin in ernsten und komischen Rollen vertreten. Daneben war sie sehr erfolgreich als Theaterschauspielerin beim Berliner Ensemble und im Hörfunk.