Die Ortschaft liegt in der kurischen Landschaft Lamotina, einer wenig industrialisierten Region im Südwesten Litauens, an der Šyša (Sziesze oder Schische),[1] die ab Šilutė schiffbar ist und nach 5,5 km in die Atmata (Atmath) mündet. Letztere fließt dann am Windenburger Eck in das Kurische Haff.
Geschichte
Frühe Neuzeit
Der Ort entstand 1511 aus einem „Dorfkrug“, d. h. einer Gaststätte, auf der Heide in der Nähe des historischen Marktplatzes am Hafen, wo bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs das Hotel „Germania“ stand. Heydekrug entwickelte sich zum bedeutendsten Marktflecken zwischen Memel und Tilsit. Krüge waren zunächst einfachste Lokale mit oft nur einer geringen Zahl an Trinkgefäßen. Sie wurden von Deutschen betrieben und fungierten als Umschlagplatz von Waren und Neuigkeiten sowie als Orte, an denen die baltische Landbevölkerung mit der deutschen Sprache und Kultur in Kontakt kam. Der große Marktplatz ist heute noch in weiten Teilen erkennbar.
1709 herrschte ein selten strenger Winter. Noch im Monat Mai konnte man mit Schlitten über die eisbedeckte Ostsee fahren. Die Erde war über 1 m tief eingefroren. Die Wintersaaten waren ausgefroren. Die Folge waren eine große Teuerung und Hungersnot. Der Verzehr von Sägemehl im Brot, Brennnesselsuppe und Baumrinden verursachte schwere Magen- und Darmkrankheiten. Obendrein wurde die Pest aus Litauen eingeschleppt. In Heydekrug überlebte niemand. Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. sorgten für die Rekultivierung der Gegend durch Salzburger Exulanten. Im 18. Jahrhundert war Heydekrug Sitz des preußischen KöniglichenDomänenamts Heydekrug, das zum Memelschen Kreis gehörte[2] und um 1782 ein Vorwerk und 92 Dörfer mit insgesamt 854 Feuerstellen (Haushalten) umfasste.[1]
19., 20. und 21. Jahrhundert
Seit 1818 war Heydekrug Sitz des neu gegründeten Landkreises Heydekrug, in dem es keine Stadt gab. Der Kreisort an der russischen Grenze wurde Sitz eines Justizamts (ab 1879 Amtsgericht Heydekrug), eines Landratsamts und eines Hauptzollamts.[3]
1911 wurden die Nachbargemeinden Barsduhnen, Cyntionischken und Szibben[4] und am 1. Mai 1939 die Gemeinden Schlaszen und Werden sowie der Gutsbezirk Adlig Heydekrug eingemeindet.[5] In der Zeit von 1925 bis 1938 wurde die Gemeinde Kallwellischken auf die Gemeinden Heydekrug, Kirlicken, Pagrienen und Werden aufgeteilt.
Durch den Versailler Vertrag 1920 wurde das Memelland mit Heydekrug von Deutschland abgetrennt und unter französische Verwaltung gestellt. 1923 fiel es an Litauen und am 22. März 1939 wurde es wiederum von Deutschland eingegliedert, siehe Memelland. Heydekrug wurde 1941 zur Stadt erhoben und hatte bis dahin den Status eines Fleckens.
Mit Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 kam Heydekrug mit dem Memelland wieder zum nunmehr der Sowjetunion angeschlossenen Litauen und wurde in Šilutė umbenannt. In der Stadt bestand das Kriegsgefangenenlager184 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.[6] Schwer Erkrankte wurden im Kriegsgefangenenhospital 2652 versorgt.
am 1. Dezember, davon 348 im Dorf (303 Evangelische, vier Katholiken, fünf sonstige Christen, 34 Juden) und 201 im Gutsbezirk (172 Evangelische, 28 Katholiken, eine sonstige christliche Person)[9]
Der alte evangelische Friedhof von Heydekrug liegt hinter den Gleisen am Bahnhof und wird in Šilutė auch heute noch am Rande benutzt. Nach 2009 hat man das Gebäude restauriert. Lediglich einige Innenarbeiten standen noch aus, als man am 25. Mai 2013 die Einweihung der renovierten Kapelle vornahm[22].
Die Kapelle der Baptisten in Heydekrug ist heute nicht mehr vorhanden. Heutzutage gibt es eine baptistische Kirche in der Nähe des Hauptbahnhofes, die in einem Wohnhaus eingerichtet ist.
Die erste Neuapostolische Gemeinde wurde im Jahre 1902 in Werden gegründet. Heutzutage gibt es in der Mitte der Stadt eine Neuapostolische Kirche, die im Jahre 1997 gebaut wurde.
Orthodoxe Kirche
Im Jugend- und Erwachsenenbildungszentrum gibt es eine Orthodoxe Kapelle.
Katholisch
Im Ortsteil Žibai (dt. Szibben) in der Nähe des Bahnhofs Šilutė befindet sich die im Jahre 1903 errichtete katholische Heilig-Kreuz-Kirche.[23][24] Es handelt sich um einen neoromanischenBacksteinbau mit neugotischen Elementen, wie beispielsweise der Westturm mit seinem spitzen Helm.
Die ersten Juden, die aus Westpreußen stammten, siedelten sich 1819 in Heydekrug an. Ihre Zahl nahm allmählich zu. 1855 betrug die Anzahl der Juden im Kreis Heydekrug 89, davon im Ort Heydekrug 36 Personen und im Dorf Szibben 6.[25][26] 1844 wurde ein jüdischer Friedhof angelegt und 1869 ein weiterer eingerichtet.[27] 1858 formierte sich in Heydekrug eine eigene jüdische Gemeinde. Als erster Rabbiner war dort Israel Schatz tätig. 1863 wurde eine kleine Synagoge erbaut. Besonders nach 1870 nahm die Zuwanderung von Juden aus nahe gelegenen Orten Litauens zu. Von ihnen wurden viele preußische Staatsbürger. Wer keine Staatsbürgerschaft erworben hatte, wurde 1885 ausgewiesen.[25]
1923, als der Ort unter litauische Verwaltung kam, verließen jüdische Familien den Ort und zogen weiter nach Ostpreußen. Nach dem Anschluss des Memellandes an Deutschland im März 1939 flohen die jüdischen Einwohner in die benachbarten litauischen Kleinstädte, so auch nach Žemaičių Naumiestis. Einigen von ihnen gelang es noch zu emigrieren. Die Synagoge und der jüdische Friedhof wurden im Frühjahr 1939 zerstört.[25] Ende Juni/Anfang Juli 1941 richtete die SS von Heydekrug ein Arbeitslager für männliche Juden ein, die aus den nahe gelegenen litauischen Kleinstädten, vor allem aus Švėkšna, Žemaičių Naumiestis, Vainutas und Kvėderna unter Zwang dorthin gebracht wurden.[25] Die ca. 400 Juden mussten vor allem Straßenbauarbeiten und Arbeiten im Moor verrichten. 1943 wurde das Lager aufgelöst und die restlichen Juden in das KZ Auschwitz deportiert. 1964 gab es zu diesen Verbrechen einen Prozess vor dem Landgericht Aurich, 1965 vor dem Bundesgerichtshof. Die Angeklagten Werner Scheu und Karl Struve erhielten lebenslängliche Freiheitsstrafen.[28]
Hugo Scheu (litauisch: Hugo Šojus) (1845–1937), Gutsbesitzer in Heydekrug ab 1889, Gründer der Sammlung Scheu, aus der das Museum von Šilutė hervorging,[29][30] und Stifter der Kirche. Er ist auf dem großen Wandgemälde an der Altarwand mit einem Modell der Kirche in der Hand abgebildet.
Hermann Sudermann (1857–1928), geboren in Matzicken bei Heydekrug, Schriftsteller und Bühnenautor
Wilhelm Kuhr (1865–1914), Bürgermeister von Pankow
Curt Epstein (1898–1976), Jurist, NS-Opfer und Landesbeamter
Seit 1995 besteht die Šilutės seniūnija, die zur Rajongemeinde Šilutė gehört. Im Amtsbezirk sind neben der Stadt Šilutė 26 Dörfer mit insgesamt 22.875 Einwohnern auf einer Fläche von 170 km² zusammengeschlossen (Stand 2011). Der Amtsbezirk ist seit 2009 in die acht Unterbezirke (lit. Seniūnaitija) Gaidelių seniūnaitija, Grabupių seniūnaitija, Laučių seniūnaitija, Macikų seniūnaitija, Pagrynių seniūnaitija, Šilutės seniūnaitija, Šilutės Naujakurių seniūnaitija und Traksėdžių seniūnaitija eingeteilt. Zum Amtsbezirk gehören:
↑ abJohann Friedrich Goldbeck: Volständige Topographie des Königreichs Preussen. Erster Theil welcher die Topographie von Ost-Preussen enthält. Königsberg und Leipzig 1785, S. 37, Absatz 47.
↑August Eduard Preuß: Preußische Landes- und Volkskunde oder Beschreibung von Preußen. Ein Handbuch für die Volksschullehrer der Provinz Preußen, so wie für alle Freunde des Vaterlandes. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1835, S. 525.
↑Walter Buttkereit: Der Kreis Heydekrug (Memelland). Flensburg-Mürwik 1976, S. 178
↑Amtsblatt der Regierung in Gumbinnen, Jahrgang 1939, S. 115
↑Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
↑Alexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preussischen Staats. Band 2: G–Ko, Halle 1821, S. 153.
↑Der Regierungs-Bezirk Gumbinnen nach seiner Lage, Begrenzung, Grösse, Bevölkerung und Eintheilung nebst einem Ortschafts-Verzeichnisse und Register, Gumbinnen 1818, Nachdruck: Sonderschrift Nr. 48 des VFFOW
↑ abKönigliches Statistisches Bureau: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Preussen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 bearbeitet und zusammengestellt. Berlin 1874, S. 182–191, Ziffern 43 und 198.
↑ abMichael Rademacher: Heydekrug. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Band 9, Leipzig und Wien 1907, S. 303.