Wilhelm Joos wurde am 1. April 1821 als Sohn von Regierungsrat Bernhard Johann Freuler Joos (1793–1855) und seiner Ehefrau Louise Ursula (1799–1831) in Schaffhausen geboren. Er hatte vier Geschwister.
Joos studierte Medizin in Göttingen, Erlangen, London, Berlin und Wien. Er verbrachte anschließend mehrere Jahre als Arzt in Brasilien und Kolumbien. Ab 1852 führten weitere Reisen den finanziell unabhängigen Joos mit seinem Bruder Emil nach Frankreich, Ägypten, Palästina und in die Türkei, bevor er sich 1857 wieder in seiner Heimatstadt Schaffhausen niederließ und der Politik zuwandte. Von 1858 bis 1900 gehörte er dem Kantonsrat, 1862–63 dem Stadtrat (der Exekutive) und von 1863 bis 1900 dem Nationalrat an. Er war ein visionärer Politiker, der sich im Laufe seiner langen politischen Laufbahn zahlreichen, sehr unterschiedlichen Themen zuwandte. Zu seinen ersten Motionen gehörten zwei Anträge, Sklavenbesitz und Sklavenhandel von Schweizern unter Strafe zu stellen. Er bezeichnete die Sklaverei als „Verbrechen gegen die Menschheit“.[1] Die Schweizer Landesregierung ließ durch den Naturforscher Johann Jakob von Tschudi als Sondergesandten einen Bericht erstellen und kam auf dieser Grundlage zum Schluss, dass ein Verbot der Sklavenhaltung für die Besitzer nicht zumutbar sei. Das nationale Parlament lehnte die Anträge auf dieser Grundlage deutlich ab.
Ab 1867 setzte Wilhelm Joos sich dafür ein, die Kinderarbeit zu beschränken. In den Fabriken sollten keine Kinder unter 14 Jahren beschäftigt werden, die Arbeitszeit für Jugendliche unter 16 sollte höchstens 10 Stunden täglich betragen und keine Nachtarbeit einschließen. Er erreichte, dass ein Bericht zur Kinderarbeit erstellt wurde und legte damit einen Grundstein für das spätere eidgenössische Fabrikgesetz[2].
Ein besonderes Anliegen war Wilhelm Joos die kolonisatorische Auswanderung unter Aufsicht des Staates. Wiederholt nahm er Kontakt mit Einwanderungsländern (Costa Rica; Vereinigte Staaten von Nordamerika) auf, schloss Verträge über Landschenkungen ab und versuchte in der Schweiz Mehrheiten für eine Unterstützung dieser Projekte herzustellen, welche armen Familien die geregelte Auswanderung unter dem Schutz der Schweiz ermöglichen sollten. Alle diese Projekte scheiterten jedoch an der fehlenden Unterstützung in der Schweiz. Weitere Themen, welche Wilhelm Joos teilweise über Jahre hinweg verfolgte, waren die Forderung nach einer schweizerischen Notenbank, die Verstaatlichung der Bahnen, das Thema Patentschutz, die Notwendigkeit einer Industriestatistik und eines internationalen Normalarbeitstags, der Gesundheitsschutz für Arbeitskräfte in der Zündholzproduktion, ein Recht auf Arbeit und die Einführung einer direkten Bundessteuer. Viele seiner politischen Forderungen wurden erst nach mehreren Anläufen und teilweise erst nach seinem Tod umgesetzt.
Sein ganzes Leben beschäftigte er sich auch mit konfessionellen Fragen und widmete der Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche mehrere Publikationen, die er immer wieder überarbeitete und neu auflegte.
Wilhelm Joos, der sich selbst als „Sozialaristokrat“ bezeichnete, galt als streitbarer und hartnäckiger Einzelgänger. Seine vorausschauenden Ideen wurden von den Ratskollegen häufig verspottet und abgelehnt, weil sie an den Privilegien der bürgerlichen Oberschicht kratzten. Das konnte ihn nicht davon abhalten, sein Leben dem aufgeklärten Denken und der sozialen Gerechtigkeit zu widmen.[2]
Geschwister
Louise Ziegler-Joos (unbekannt) Schaffhausen
Berta Niederer-Joos (unbekannt) Schaffhausen
August Joos (1823 – 1845), Schaffhausen
Emil Oschwald Joos (1826 – 1895), Schaffhausen, Mediziner[3]
Ueber Schutzaufsicht, Organisation und Leitung der schweizerischen Auswanderung : offenes Sendschreiben an die schweizerische gemeinnützige Gesellschaft. Schaffhausen, Selbstverlag (10 Auflagen 1861–1865)
An den Hohen-Schweizerischen Bundesrath zu Handen der Hohen Bundesversammlung: [betr. Auswanderung nach Central Amerika]. Schaffhausen 1859
Einige Gedanken über kolonisatorische Auswanderung. (Mehrere Auflagen 1896–1899)
Das Nationalbank-Gesetz der Vereinigten Staaten : nebst den zugehörigen Veränderungen und Nachtrag-Gesetzen 1874–1875. Mit einem Vorwort von Wilh. Joos. Bern 1881
Konfessionelle Streitschriften
Anatomie der Messe. Mehrere Auflagen ab 1856
Aphorismen über Protestantismus und Katholizismus. Herausgegeben von einem Laien. Schaffhausen 1856
Die Bulle Unam Sanctam und das vatikanische Autoritätsprinzip. 1. Auflage 1891 und 2., stark erweiterte Auflage 1896
Franz Xaver Mutz: Die Schmähschrift "In Coena Domini und Messe von Dr. Wilhelm Joos". Herder, 1884, Gesamtausgabe (google.de).
Innocenz' III : sechs Bücher von den Geheimnissen der Messe. Hrsg. von Wilh. Joos. Schaffhausen, Paul Schoch 1898
Katechismus der Unterscheidungslehren der evangelischen und römisch-katholischen Kirche oder anathematische Anatomie des Papstgethüms. 2 Auflagen 1849 und 1852
Der nassgemachte Pelz. Waschseife für die Zunft der Gleichgültigen und Nichtwisser. 8 Auflagen zwischen 1894 und 1900
Literatur
Sylva Brunner-Hauser: Pionier für eine menschliche Zukunft. Dr. med. Wilhelm Joos, Nationalrat 1821–1900. Verlag Peter Meili. Schaffhausen 1983, ISBN 3-85805-107-1.
Hans Faessler: Sklaverei als "Fluch der entehrten Menschheit". Ein Schaffhauser gegen den Bundesrat. In: Projekt Schweiz. Vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft. Unionsverlag, Zürich 2021, 237–245
Bericht des Bundesraths an den h. Nationalrath, betreffend Strafbestimmungen gegen Schweizer in Brasilien, welche Sklaven halten. (Vom 2. Dezember 1864). [1]
↑Sylva Brunner-Hauser: Pionier für eine menschlichere Zukunft : Dr. med. Wilhelm Joos, Nationalrat, 1821-1900. Peter Meili, Schaffhausen 1983, ISBN 3-85805-107-1, S.28.
↑ abHistorisches Lexikon der Schweiz (HLS): Wilhelm Joos. hls-dhs-dss.ch, abgerufen am 25. Dezember 2021.
↑Portait Archiv. In: Stammbau Wilhelm Joos. portraitarchiv.ch, abgerufen am 17. Februar 2022.
↑Schweizerische Naturforschende Gesellschaft: Verhandlungen der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft Bände 58 – 59. Birkhäuser., 1876, S. 346 (google.de).