Unité d’habitation

Unité d’habitation - Corbusierhaus in Berlin

Die Unité d’habitation (französisch für Wohneinheit), umgangssprachlich auch Wohnmaschine, ist ein moderner Wohnhaustyp, den der Architekt Le Corbusier entwickelte.

Le Corbusiers Idee

Den Kern der Idee stellte Le Corbusier bereits 1925 in Paris vor, mit dem Pavillon de l’Esprit Nouveau. Le Corbusier sah seinen Gebäudeentwurf als ideale Lösung für eine massenhafte Wiederholung an vielen Orten. Durch standardisierte Serienproduktion wollte er ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit erreichen. Diese Effizienz und die weite Verbreitung sollten einer breiten Masse einen erhöhten Wohnkomfort ermöglichen. Damit sind die Unités d’habitation Vorläufer der Plattenbauten. Le Corbusier bemühte sich, den menschlichen Anforderungen zu entsprechen, und integrierte verschiedene Einrichtungen des täglichen Bedarfs. Dabei stapelte er Wohnen und andere Funktionen der herkömmlichen Stadt. Dies entsprach Le Corbusiers Leitbild der „vertikalen Stadt“.

Geschichte

Die Unités d’habitation wurden zwischen 1947 und 1965 in vier französischen Orten sowie in Berlin realisiert. Die Projekte sollten den Wohnungsmangel nach dem Zweiten Weltkrieg lindern.

Unité d’habitation in Marseille

Schnittzeichnung der ineinander verschränkten Wohnungen

Die erste Unité d’habitation wurde ab 1947 in Marseille gebaut (Adresse: 280, Boulevard Michelet, F-13008 Marseille). Dieses Gebäude, die am 14. Oktober 1952 eröffnete Cité radieuse,[1] ist 138 Meter lang, 25 Meter breit und 56 Meter hoch. Der Skelettbau aus Stahlbeton besitzt 18 Geschosse, wobei sich anstelle des Erdgeschosses ein Freigeschoss mit Stützen befindet, die das Gebäude tragen. Hier finden sich auch die Aufgänge. Die 337 Appartements sind als Maisonettewohnungen jeweils zweigeschossig ausgebildet: in einem Geschoss die ganze Stockwerksbreite einnehmend, im anderen knapp die Hälfte, mit Anschluss an den Erschließungsgang. Ein solcher war nur in jedem dritten Stockwerk nötig. Die Zeilenbauten sind jeweils relativ genau in Nord-Süd-Richtung angelegt.

Die meisten Appartements verfügen über Morgen- und Abendsonne. Das gelingt, weil der Großteil als Maisonettewohnungen konzipiert ist und durch geschickten Schnitt sowohl auf der West- als auch auf der Ostseite Räume hat. Dabei sind jeweils zwei Wohnungen gegengleich auf zwei Stockwerken ineinander verschränkt. Die „descendants“ betritt man im oberen Stockwerk und erreicht die übrigen Räume über eine nach unten führende Treppe. Beim gegenläufigen Maisonette („ascendant“) führt die Wohnungstür zu den unteren Räumen, also der Küche und dem Wohnzimmer. Man geht über die Treppe zu den Schlafräumen hoch. Die letztere Variante mit den Schlafräumen im Obergeschoss entspricht eher der Art, wie man auch ein Einfamilienhaus nutzen würde, und ist daher beliebter. Um einen Ausgleich zu schaffen, haben diese Wohnungen die Wohnzimmerfenster auf die Hügelseite ausgerichtet. Die „descendants“ werden mit Wohnzimmern mit Blick aufs Meer entschädigt.[2]

In der siebten und achten Etage befinden sich verschiedene Geschäfte, ein kleines Hotel und eine Wäscherei. Auf der begehbaren Dachlandschaft wurden ein Kindergarten, ein Freilufttheater und eine Sporthalle angesiedelt.

Die Geschäfte, das Café im Hotel und die Dachterrasse sind frei zugänglich; man trägt sich lediglich beim Pförtner in ein Besucherbuch ein. Die Dachterrasse bietet einen Blick über Marseille, das Meer und auf die umliegenden Berge. Der Zustand der Wohneinheit ist stark in die Jahre gekommen.

Alle Maße der Unité d’habitation von Marseille waren nach dem von Le Corbusier entwickelten Maßsystem Modulor bestimmt worden, das auf dem Goldenen Schnitt basiert und natürliche, beim Menschen auftretende Maßrelationen berücksichtigt.

Realisierte Wohneinheiten

Die folgenden fünf Unités d’habitation wurden realisiert:

Nicht realisierte Wohneinheiten

Le Corbusier machte mehrere Vorschläge für weitere Unités d’habitation:

  • 1946 Urbanisation de Saint-Dié-des-Vosges, Neubau der zerstörten Stadt mit fünf Unité d’habitation, der Vorschlag wurde abgelehnt.[3]
  • 1957 Projet de ville radieuse à Meaux,[4] für neue Stadt mit 10.500 Einwohnern in fünf Unité d’habitation, das Projekt scheiterte an diversen bürokratischen Problemen.
  • 1960 Projet de Unité d’habitation a Tours, fünf Unité d’habitation im Süden von Stadt Tours[5]
  • 1960 Roussillon, Vorschlag für eine Unité d’habitation[6]
  • 1960 Villacoublay, Vorschlag für zwei Unité d’habitation[7]
  • 1962 Projet de ville radieuse à Firminy, ursprünglich geplant waren drei Unité d’habitation mit einem Einkaufszentrum, das Projekt wurde reduziert auf eine Unité d’habitation, der Bau der zweiten Unité wurde 1970 abgebrochen[8]

Kandidatur als Welterbestätte

Im Januar 2008 ließ Frankreich 14 Gebäude und Anlagen von Le Corbusier in die Tentativliste der UNESCO eintragen, darunter auch die Unité d’habitation in Marseille.[9] Ein solches Vorgehen ist Voraussetzung dafür, um zu einem späteren Zeitpunkt die Anerkennung als Welterbestätte zu beantragen. In diesem Falle aber geschah dies zeitgleich: unter Federführung Frankreichs und unter Beteiligung der Fondation Le Corbusier wurden diese vierzehn und zunächst neun Werke Le Corbusiers aus sechs weiteren Ländern unter dem Titel L’Oeuvre architecturale et urbaine de Le Corbusier („Das architektonische und urbane Werk Le Corbusiers“) für die Aufnahme als Weltkulturerbe nominiert.[10] Trotz zwischenzeitlicher Überarbeitung und Reduzierung auf 19 Objekte fand diese Kandidatur nicht die Mehrheit des Welterbekomitees bei dessen Jahrestagung im Juni 2011.[11] Eine erneute Überarbeitung wurde 2015 eingereicht und am 17. Juli 2016 bei einer Sitzung in Istanbul beschlossen.[12] In den Welterbestatus wurden 17 Objekte aus sieben verschiedenen Ländern aufgenommen.[13]

Museum

Im Pariser Musée des Monuments français befindet sich ein originalgroßer, zweigeschossiger Nachbau einer Wohnung der Cité radieuse in Marseille.

Literatur

  • Christina Haberlik: 50 Klassiker. Architektur des 20. Jahrhunderts. Hildesheim: Gerstenberg Verlag, 2001. ISBN 3-8067-2514-4.
  • Le Corbusiers Wohneinheit „Typ Berlin“ – Faksimile der Originalausgabe von 1958 mit einem aktualisierten Anhang, WEG Corbusier-Haus, Förderverein Corbusierhaus Berlin e. V. (Hrsg.), JOVIS Verlag Berlin 2008, ISBN 978-3-86859-005-0.
  • „Typ Berlin“ – Das Corbusierhaus in Charlottenburg, Fotografien von Bärbel Högner, Hans E. Roth (Hrsg.), JOVIS Verlag 2008, ISBN 978-3-86859-004-3.
  • Katrin Eberhard: Maschinen zuhause. Die Technisierung des Wohnens in der Moderne. gta Verlag, Zürich 2011, ISBN 978-3-85676-276-6.
  • Laura Stillers: Zwischen Raum und Funktion. Die Verhältnismäßigkeiten der Unité d’Habitation von Le Corbusier. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte 6 (1/2014), S. 117–132.
Commons: Unité d’habitation – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Inauguration de la Cité radieuse de Le Corbusier, 14 octobre 1952
  2. Alexandra von Ascheraden: Marseille und seine Stadt in der Stadt. In: Baublatt. Nr. 24 2018, ISSN 1660-4504, S. 10–14 (baublatt.ch).
  3. Stefan Woltersdorff: Literarisches Lothringen: Spaziergänge mit Dichtern und Denkern Europas (= Conte Region). Conte, Saarbrücken 2012, ISBN 978-3-941657-40-3.
  4. Projets > Urbanisme, Meaux, France, 1957. Abgerufen am 11. März 2024 (französisch).
  5. Projects > Unité d'habitation, Tours, France, 1960. Abgerufen am 4. April 2024 (amerikanisches Englisch).
  6. Unité d’habitation Roussillon, France, 1960. Abgerufen am 4. April 2024 (englisch).
  7. Projects > Unité d'habitation, Villacoublay, France, 1960. Abgerufen am 4. April 2024 (amerikanisches Englisch).
  8. Remonter le temps. Abgerufen am 4. April 2024.
  9. L’œuvre architecturale et urbaine de Le Corbusier. Eintrag in der Tentativliste der UNESCO auf deren Website, abgerufen am 10. April 2014 (französisch)
  10. UNESCO-Dossier Le Corbusier in Paris unterzeichnet. Pressemitteilung des Schweizer Bundesamtes für Kultur, 30. Januar 2008, abgerufen am 7. April 2014
  11. Joseph Hanimann: Ganz oder gar nicht. In: Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2011, abgerufen am 7. April 2014
  12. Le-Corbusier-Häuser in Stuttgart sind Weltkulturerbe. In: Süddeutsche Zeitung, 17. Juli 2016, abgerufen am 11. August 2016
  13. The Architectural Work of Le Corbusier, an Outstanding Contribution to the Modern Movement. Eintrag der 17 Gebäude umfassenden Sammlung in der Welterbeliste (Stand: 12. August 2016)

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