Therese Gift kam 1898 als jüngstes von fünf Geschwistern des jüdischen Kaufmannsehepaars Gertrude und Salomon Gift zur Welt. Sie wurde nicht jüdisch-orthodox, sondern liberal erzogen und entwickelte eine entschiedene Skepsis gegenüber Religionen. In der Zeit, als sie die Volksschule auf dem Sankt-Anna-Platz besuchte, war sie den damals verbreiteten antisemitischen Beschimpfungen ausgesetzt und empfand diese als abgrenzend und entwürdigend: „Ich war dick und rothaarig und hatt’ den Herrn Jesus umgebracht“. Der Verlust des Vaters 1911 und der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 waren prägsame Einschnitte in ihrer Kindheit, die Auswirkungen auf ihre Familie hatten. Ihre Brüder dienten an der Front und wollten als Juden einen Beitrag für die Verteidigung ihres Vaterlandes leisten. Aufgrund ihrer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg wurde Therese Giehse später zu einer überzeugten Pazifistin. Schon früh reifte in ihr der Wunsch, Schauspielerin zu werden, also stellte sie sich 1915 bei Albert Steinrück mit dem Gedicht Belsazar von Heinrich Heine vor. Steinrück entschied: „viel weniger dick als begabt“ und eröffnete ihr damit die Ausbildung bei der damals bekannten Schauspiellehrerin Toni Wittels-Stury.[1]
Giehse gründete Anfang 1933 in München zusammen mit dem Musiker Magnus Henning, ihrer Lebensgefährtin Erika Mann und deren Bruder Klaus Mann (der ihr später seinen Roman Mephisto widmete) das KabarettDie Pfeffermühle.[3] Mit diesem emigrierte sie noch im gleichen Jahr, da sie als Jüdin und politisch links stehende Künstlerin mit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten rechnen musste. Erste Station ihrer Flucht war Zürich. Danach verlief ihr Fluchtweg von 1934 bis 1936 über Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Österreich bis in die Tschechoslowakei. Am 26. April 1936 erlebte die Pfeffermühle ihre 1000. Vorstellung in Amsterdam.
Am 20. Mai 1936 heiratete die lesbische Giehse[4] den homosexuellen englischen Schriftsteller John Hampson (1901–1955), um auf diese Weise einen britischen Pass zu erhalten und so dem Zugriff der Nationalsozialisten entgehen zu können. 1937 wurden in Amerika begonnene Aufführungen der Peppermill nach kurzer Zeit wegen Erfolglosigkeit wieder eingestellt. Sie kehrte an das Zürcher Schauspielhaus zurück, dem sie ihr Leben lang treu blieb. Nach 1945 stand sie in München, Berlin, Salzburg und auch in Wien auf der Bühne.
Nach dem Krieg pflegte Giehse eine Liebesbeziehung zu der Schauspielerin Marianne Hoppe.[5]
Als zeitweiliges Mitglied des Berliner Ensembles von Bertolt Brecht war Giehse nach dem Krieg eine gefragte Interpretin seiner Werke. So erschien ihr Rezitations-Abend Ein Bertolt Brecht-Abend mit Therese Giehse auf mehreren Schallplatten sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR.
Therese Giehse starb 1975 drei Tage vor ihrem 77. Geburtstag in München. Während der Gedenkfeier in den Münchner Kammerspielen starb der Regisseur Paul Verhoeven an Herzversagen nach den ersten Sätzen seines Nachrufs auf Giehse. Therese Giehse wurde auf ihren eigenen Wunsch auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben.
Wichtige Engagements und Rollen
Während der Zeit von 1937 bis 1966 war Giehse am Schauspielhaus Zürich sowohl als festes Ensemblemitglied wie auch als Gast engagiert. Sie spielte die Hauptrolle in der Brecht-Uraufführung von Mutter Courage und ihre Kinder am 19. April 1941 und wirkte im Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti am 23. April 1948 ebenso mit. Am 22. September 1949 spielte sie in der ersten Premiere nach ihrer Emigration an den Kammerspielen in München in Der Biberpelz von Gerhart Hauptmann mit. Von 1949 bis 1952 war Giehse Mitglied am Berliner Ensemble und von 1949 bis 1973 auch an den Münchner Kammerspielen engagiert.
Am Zürcher Schauspielhaus wirkte Giehse in den Uraufführungen von Friedrich Dürrenmatts Theaterstücken Der Besuch der alten Dame (in der Hauptrolle) am 29. Januar 1956 sowie in Die Physiker am 21. Februar 1962 mit. Die Komödie wurde ihr vom Autor gewidmet. Dürrenmatt machte zu diesem Stück die Aussage, dass er den ursprünglich männlichen Anstaltsleiter nach einem Gespräch mit Therese Giehse in einen weiblichen geändert habe.[6][7] Eine Aussage, die er später jedoch relativierte.[8][9]
An den Kammerspielen in München wirkte sie am 4. Oktober 1967 in der Uraufführung von Die Landshuter Erzählungen von Martin Sperr mit.
Theater (Auswahl)
Uraufführungen
1933: Die Dummheit in Exiltheater »Die Pfeffermühle«, Uraufführung im Hotel Hirschen in Zürich, 30. September 1933
1941: Mutter Courage, Hauptrolle in Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 19. April 1941
1956: Claire Zachanassian, Hauptrolle in Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 29. Januar 1956
1962: Fräulein Dr. h. c. Dr. med. Mathilde von Zahnd, weibliche Hauptrolle in Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 21. Februar 1962
1973: Lemsomd (bairisch für Lebensabend) von Dieter Kühn/Martin Sperr. Inhalt: Monolog einer alten Frau, die auf einer Bank im Park eines Altersheims sitzt und immer gesprächiger wird. Als Podcast/Download im BR Hörspiel Pool.[11]
Am 10. November 1988 kam eine Briefmarke der Dauermarken-Serie Frauen der deutschen Geschichte im Nennwert von 100 Pfennig Michel-Nr. 1390 mit einem Porträt Giehses an die Postschalter. Da es sich bei dem Wert der Marke seinerzeit um das Standardporto für Briefe handelte, wurde Giehse hierdurch nochmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt.
In München wurde 1975 die Therese-Giehse-Allee in Neuperlach nach ihr benannt (die 1980 der U-Bahn-Station Therese-Giehse-Allee ihren Namen gab), in Unterschleißheim 1995 die Therese-Giehse-Realschule.[12] In Zürich-Oerlikon existiert eine Therese-Giehse-Strasse. Im Hamburger Bezirk Bergedorf ist im Stadtteil Neuallermöhe ebenfalls eine Straße nach ihr benannt, der Therese-Giehse-Bogen. Auch in Berlin-Spandau gibt es eine Therese-Giehse-Straße. Germering hat den Therese-Giehse-Platz nach ihr benannt.
Eine bedeutende Würdigung erfuhr die Schauspielerin durch den deutschen Bundesverband Schauspiel, der im September 2021 den von ihm jährlich vergebenen Theaterpreis ab sofort in Therese-Giehse-Preis umbenannte. Erster Preisträger wurde der Schauspieler und Autor Klaus Pohl für sein HörbuchSein oder Nichtsein.[13]
Helga Keiser-Hayne: Erika Mann und ihr politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“ 1933–1937. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13656-2
Michaela Karl: Therese Giehse: Die Mutter Courage. In: Bayerische Amazonen – Zwölf Porträts. Pustet, Regensburg 2004, ISBN 3-7917-1868-1, S. 132–150
Renate Schmidt: Therese Giehse. „Na, dann wollen wir den Herrschaften mal was bieten!“ Biografie. Langen Müller, München, Neuausgabe 2008, ISBN 978-3-7844-3166-6
Gunna Wendt: Erika und Therese: Erika Mann und Therese Giehse – Eine Liebe zwischen Kunst und Krieg. Piper, München 2018, ISBN 978-3-492-30941-7
Giehse, Therese, von Björn Siegel, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 7, Hg. Fred Skolnik, Macmillan Reference USA & Keter Publishing House, 2. Aufl. Detroit 2007, S. 598.
Kay Weniger: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben ….“ Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 193 f.
↑Nach: Ritter: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker, S. 101.
↑Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt: Der Klassiker auf der Bühne. Gespräche 1961–1970. Diogenes, Zürich 1996, ISBN 3-257-06111-0, S. 206.