Schaftrieb auf dem Hochjoch (2018)Niederjochferner und Similaun
Der Schaftrieb über den Ötztaler Alpenhauptkamm ist eine spezielle Form der grenzüberschreitenden Weidewirtschaft im Alpenraum. Schafhalter aus dem Vinschgau und Passeier im italienischen Südtirol nutzen auf diese Weise ihre althergebrachten Weiderechte im hinteren Ötztal in Österreich. Dazu werden Schafe und Ziegen über drei verschiedene Passrouten Anfang Juni in nördliche und Mitte September in Gegenrichtung getrieben.
Am 30. November 2020 wurde das Schnalser Schaf in das Netzwerk der Organisation Slow Food aufgenommen. Aktuell leben nur noch 1.500 Exemplarer dieser Rasse im Schnalstal in Südtirol. Bauern und der Hirten haben mit der nachhaltigen typischen Wanderweidehaltung des Schnalser Schafs die uralte Praxis der Transhumanz gesichert.[1]
Schafe aus dem Vinschgau werden zu ihren Weiden oberhalb von Vent über zwei verschiedene Routen getrieben. Zunächst gelangen sie von Kortsch im oberen Etschtal aus durch das Schlandrauntal und über das Taschenjöchl/Taschljoch ins Schnalstal; anschließend erfolgt der Aufstieg entweder von Vernagt aus über das Niederjoch (3019 m ü. A.) oder von Kurzras aus über das weiter westlich und (trotz des Namens) niedriger gelegene Hochjoch (2770 m ü. A.). In der UNESCO-Nominierung wurde dieser Schaftrieb als der letzte weltweit bezeichnet, der teilweise über Gletscher führte.[2] Aufgrund der Gletscherrückgänge führen die beiden Routen seit den ersten 2000er-Jahren nur noch an Gletschern vorbei, queren sie aber nicht mehr.
In der ersten Septemberhälfte werden die Schafe auf den gleichen Wegen zurück nach Südtirol getrieben. Die Ankunft in Vernagt bzw. Kurzras wird zum Anlass eines Hirtenfestes genommen.
Geschichte
Dass die Routen der Schaftriebe schon seit mindestens 6000 Jahren genutzt werden, gilt heute als belegt. Auch der Fund der Eismumie „Ötzi“ am Tisenjoch, das nur ca. 1 km westnordwestlich des Niederjochs liegt, kann in diesem Zusammenhang gesehen werden.[2]
Die Weiderechte von Schnalser Bauern auf den Almen des Rofenbergs werden bereits in einem Dokument des Jahres 1357 bestätigt. Aus dem Jahr 1415 stammt ein das Niedertal betreffender Weiderechtsvertrag für den Zeitraum Mitte Juni bis Mitte September.[3]
Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurden sogar Rinder über die Pässe getrieben. Auch nach der Teilung Tirols am Ende des Ersten Weltkriegs blieb die Tradition des Schaftriebs erhalten.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Schaftriebe hat allerdings nachgelassen. Heute werden ungefähr 3.500 Schafe aus Südtirol in die beiden Venter Täler getrieben, während es 1977 noch doppelt so viele waren.
Im Oktober 2011 wurden die Tradition unter der Bezeichnung Transhumanz – Schafwandertriebe in den Ötztaler Alpen von der Österreichischen UNESCO-Kommission in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Als Begründung wurde dabei neben der ökologischen vor allem die kulturelle Bedeutung genannt, die in grenzüberschreitenden Ritualen und Bräuchen (Festlegen der Weideplätze, gemeinsamer Kirchgang, …) und einer dadurch entstehenden „gemeinsamen regionalen Identität“ zum Ausdruck kommt.[2] Die italienische UNESCO führt ein solches Verzeichnis vorerst nicht.
Bilder
Schaftrieb über das Hochjoch
Überquerung der Rofenache oberhalb der Einmündung des Hochjochbachs.