Der Sajano-Schuschensker Stausee bzw. die Sajano-Schuschensker Talsperre (russischСаяно-Шушенское водохранилище) verfügt mit dem Wasserkraftwerk Sajano-Schuschenskaja (Саяно-Шушенская ГЭС) am Jenissei oberhalb der zu Sajanogorsk gehörenden Siedlung Tscherjomuschki über das größte Wasserkraftwerk Russlands. Betreiber des Kraftwerks ist RusHydro.
Der Stausee liegt in der Republik Chakassien, der Region Krasnojarsk und der Republik Tuwa im Süden Mittelsibiriens. Stausee und Kraftwerk wurden nach dem umliegenden Sajangebirge benannt; der Jenissei durchschneidet den mittleren Westsajan mit einem schmalen Tal. Der zweite Namensbestandteil ist der Ort Schuschenskoje, in dem sich Staatsgründer Lenin von 1897 bis 1900 in der Verbannung befand, was in der sowjetischen Periode symbolträchtigen Wert hatte. Schuschenskoje liegt jedoch weiter flussabwärts im Gebirgsvorland, knapp 70 km Luftlinie von der Staumauer entfernt.
Bei dem Stauziel von 540 m NN ist der Stausee etwa 320 km lang, wobei der längste Abschnitt (235 km) durch das Sajan-Tal führt. Hier ist der Stausee 0,5 km – 3 km breit und fließt durch das 500 m bis 2700 m hohe Gebirge des Westsajan. Weiter stromaufwärts weitet sich der Stausee im Becken von Tuwa zu 6 km bis 9 km Breite auf, bei einer Tiefe von 8 m – 30 m. Der Stausee ist als strategisches Trinkwasserreservoir kategorisiert und grenzt an das 3904 km² große staatliche Naturschutzgebiet Sajano-Schuschenski an. Es wurde 1976 ausgewiesen und ist seit 1985 UNESCO-Biosphärenreservat.[1][2] Flussabwärts der Talsperre wird in dem klaren und kalten Wasser des Jenissei Fischzucht betrieben.[3]
Konstruktion
Die Bogengewichtsmauer ist 242 m hoch und 1074 m lang. Sie hat eine 105,7 m breite Basis und die Kronenbreite beträgt 25 m. Insgesamt wurden 9.075.000 m³ Beton verbaut. Im Baukörper verlaufen zehn Galerien, die Überwachungsgeräte für den Zustand der Talsperre beherbergen und Reparaturarbeiten ermöglichen. Die Staumauer ist eine Bogengewichtsmauer mit einem Radius von 600 m,[4] ähnlich der Hoover-Staumauer in den USA. Sie ist jedoch 20 m höher als diese. Die Staumauer stellt eine der 20 höchsten Talsperren der Welt dar.
Luftseite der Staumauer mit der Hochwasserentlastung incl. Tosbecken im Hintergrund und den Fallleitungen und Maschinenhaus im Vordergrund
Schnittzeichnung der Staumauer mit Druckrohrleitung, Turbinenhalle, Saugrohr und Unterwasser
Die Fallhöhe des Wassers bis zum Kraftwerk beträgt 220 m. Die Kraftwerksleistung beträgt 6400 Megawatt und pro Jahr werden etwa 25 TWh produziert. Das ist dreimal mehr als Chakassien benötigt. Die zehn Francis-Turbinen mit je 640 MW haben jeweils einen Durchfluss von 358,5 m3/s bei einer Nennfallhöhe von 194 m. Sie drehen sich mit einer Geschwindigkeit von 142.86 1/min (Generator mit 21 Polpaaren).[5] Das Kraftwerk versorgt hauptsächlich einige Aluminiumhütten in der Region, die sehr viel elektrische Energie für die Elektrolyse benötigen.
Die gestaute Wasserfläche im normalen Stauzustand bei 540 m beträgt 621 km², das Einzugsgebiet 179.900 km². 35.600 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und 2717 Häuser wurden geflutet. Der See ist 320 km lang, stellenweise mehr als 10 km breit und 113 m tief.[6] Sein Stauinhalt beträgt 31,3 km³.
Der sich direkt im Unterwasser an die Talsperre anschließende kleinere Maina-Stausee dient als Ausgleichsbecken. Weiter unterhalb am Jenissei liegt eine weitere große Talsperre, der Krasnojarsker Stausee. Um eine durchgehende Schifffahrt zu ermöglichen, war ein Schiffshebewerk in Form eines Schrägaufzuges mit Querförderung geplant, das aber nie gebaut worden ist.
Von 2005 bis 2011, parallel zu den Reparaturarbeiten nach dem Unfall vom August 2009, wurde eine zusätzliche Hochwasserentlastung errichtet, die den bestehenden Überlauf in der Staumauer bei extremen Hochwassern unterstützen soll. Der Staumauer-Überlauf hat zwar eine maximale Kapazität von 13.600 m³/s, aber aufgrund von Erosionen im Tosbecken während zweier starker Frühlingsfluten[7] in den 80er Jahren wurde er auf 5.000 m³/s gedrosselt.[8] Die Entlastungsanlage wird über zwei 10 m breite und 12 m hohe sowie 1,122 m lange betonverstärkte Stollen gespeist, die Wasser ab einem Wasserstand von 527 m ü. NN beim Einlaufbauwerk südlich der Staumauer im Freigefälle mit bis zu 22 m/s ableiten können und einen 1174 m hohen Berg neben der Staumauer durchtunneln. Die Entlastungsrinne fällt als 5-stufige Kaskade auf einer Breite von 100 m in einen 700 m langen Ablaufkanal, der sich in das Unterwasser ca. 2 km flussab der Staumauer in den Jenissei ergießt. Die neue Hochwasserentlastung hat ein Schluckvermögen von bis zu 4000 m³/s.[9]
Geschichte
Nach dem Baubeschluss in den 1950er Jahren wurde die Sajano-Tuwinische Expedition zur archäologischen Untersuchung der künftigen Überschwemmungsgebiete gegründet, in der Sergei Astachow das Altsteinzeit-Kommando leitete.[10]
Das Kraftwerk wurde 1963–1988 gebaut und ging 1978 ans Netz, um die Aluminiumproduktion mit elektrischer Energie zu versorgen. Etwa 70 % der Erzeugung werden an Aluminiumhütten in der Region geliefert.[11] Der größte Abnehmer der vom Wasserkraftwerk Sajano-Schuschenskaja produzierten Elektroenergie ist heute das Aluminiumwerk Sajan in Sajanogorsk, das zur Rusal-Gruppe des Milliardärs Oleg Deripaska gehört.
Der damalige Präsident Russlands, Boris Jelzin, privatisierte 1993 das Wasserkraftwerk. Damals musste Chakassien auf seinen Teil der Aktien verzichten und erhielt dafür das Recht, im Laufe von zehn Jahren die Elektroenergie zu einem Vorzugspreis zu kaufen. Im September 2004 lief dieses Abkommen ebenso wie die Verjährungsfrist für Privatisierungsfälle ab.
Chakassien, unter der Führung des damaligen Gouverneurs Alexej Lebed (Bruder des bekannten Politikers und Generals Alexander Lebed), reichte im April 2003 Klage ein, das Privatisierungsgeschäft für ungültig zu erklären und das Werk wieder zu verstaatlichen.[12] Gleichzeitig schlug er der Holding aber einen Kompromiss vor, wonach die Preisvergünstigung für Chakassien bis 2020 verlängert werden soll. Die Energieholding lehnte den Vorschlag ab.[13] Nachdem das Schiedsgericht des Föderationskreis Sibirien die Privatisierung als illegal bewertete, hob das Oberste Schiedsgericht der Russischen Föderation dieses Urteil wieder auf.[14]
Unfall im August 2009
Am Montag, dem 17. August 2009, kam es zu einem schweren wasserbaulichen Unglück, das 75 Menschenleben kostete. Morgens um 08:13 Uhr zerstörte ein Druckstoß mehrere Turbinen und im Anschluss wurde die Turbinenhalle überflutet. Durch den Wassereinbruch kam es zu Kurzschlüssen. Leistungstrafos gingen ebenfalls zu Bruch. Mitarbeiter des russischen Rechnungshofes hatten bei einer Kontrolle zwei Jahre zuvor festgestellt, dass 85 Prozent der Ausrüstung dringend modernisiert werden müsste, da sie deutlich veraltet seien.[15]
Am stärksten wurde Turbine 2 verwüstet. Wasser aus dem Saugrohr schoss nach oben und hob den Turbinenkopfdeckel, das Turbinenlaufrad, die Welle, die Turbinen- und Generatorlager um mehrere Meter nach oben. Dies zerstörte die Rotorspinne des Generators und das Wasser überflutete die Turbinengrube, von wo es ins Maschinenhaus gelangte. Der Anfangsimpuls des Wassers brachte im Bereich um Turbine 2 das Dach der Turbinenhalle zum Einsturz. Auf den Ausfall von Block 2 folgten ähnlich schwere Schäden an den Blöcken 7 und 9. Insgesamt wurden neun von zehn Kraftwerksblöcken zerstört oder schwer beschädigt. Das Wasser verursachte Kurzschlüsse und mechanische Schäden, als sich die Generatoren in den gefluteten Turbinengruben weiterdrehten, weil sich einige Turbinen erst nach etlichen Minuten manuell am Einlaufschieber abschalten ließen. Nur Einheit 6, die zu diesem Zeitpunkt außer Betrieb war, blieb von schweren Schäden verschont, obwohl sie von Wassermassen aus den benachbarten Einheiten überflutet wurde. Neben 75 Toten gab es 13 Verletzte, was den Unfall in die Kategorie einer nationalen Katastrophe einordnete.[5]
Der genaue Grund für das spektakuläre Versagen von Einheit 2 konnte nicht bis ins Letzte geklärt werden. Der Abschlussbericht von Rostekhnadzor, Russlands technischem Überwachungsdienst, konzentrierte sich auf die Haltebolzen des Turbinenkopfdeckels, die durch Ermüdungsbruch vorgeschädigt waren. Er ging aber nicht darauf ein, wie die ähnlich gelagerten Schäden von Block 7 und 9 entstanden, die keine solchen Vorschäden an den Kopfdeckelbolzen aufwiesen. Selbst der Wasserdruck aus Oberwasser und Unterwasser hätte wohl nicht ausgereicht, um die etwa 1500 Tonnen schwere Maschine explosionsartig aus ihrem Sitz zu heben. Im Betrieb sorgte zudem die Strömung im Turbinenrad für eine abwärtsgerichtete Kraft, sodass selbst beim Totalversagen der Haltebolzen zwar eine Undichtigkeit aufgetreten wäre, aber keine beschleunigende Kraft in der beobachteten Größenordnung.
Ein Erklärungsansatz ist ein Kavitationsschlag im 35 m langen Saugrohr: durch schnelles Zufahren der Leitschaufeln wurde die Wasserströmung abgebremst (Systemzustand beim Unfall 256 m³/s Volumenstrom bei 8,3 m/s) und es kam zu einer Trennung der Wassersäule unterhalb der Turbine, die wegen Kavitationsproblemen durch Vibrationen belastet war. Für geschätzte 2,5 Sekunden öffnete sich eine große Vakuumblase. Das jetzt rückwärts beschleunigte Wasser sorgte für einen gewaltigen Kraftstoß, der die Maschine aus ihrer Verankerung hob – selbst nicht-vorgeschädigte Haltebolzen hätten dies nicht verhindern können. Für diesen Ansatz spricht, dass Turbine 2 im ersten Quartal 2009 mit einem neuen Drehzahlregler ausgestattet und dieser im Juni 2009 mit der automatischen, gemeinsamen Lastregelung des Kraftwerks verbunden wurde. Zusätzlich hatte das Wasserkraftwerk am Tag des Unfalls die Rolle eines Regelenergielieferanten übernommen, weil das üblicherweise mit dieser Aufgabe betreute Bratsker Wasserkraftwerk wegen eines Feuers ausfiel. Zum Zeitpunkt des Unfalls fand außerdem ein Lastabwurf statt.[16] Auch zehn Jahre nach dem Unfall ist nicht abschließend geklärt, wie Turbine 2 mehrere Meter angehoben werden konnte und die Ermüdungsrisse an den Haltebolzen dieser Turbine zu ähnlichen Schäden an Turbine 7 und 9 führten.[5]
Der Schaden war enorm und betrug geschätzt 1,25 Milliarden US-Dollar. Planungen gingen davon aus, dass es bis zu zwei Jahre dauern würde, die zerstörten Anlagenteile zu ersetzen. Die nicht von der Havarie betroffenen Generatoren sollten in anderthalb Monaten wieder ans Netz gehen. An der Bewältigung der Katastrophenfolgen nahmen 2000 Menschen teil.[17][18] Am 12. November 2014 wurde das Kraftwerk nach umfassender Reparatur und Instandsetzung wieder mit voller Leistung in Betrieb genommen.[19]
Die Gefahr einer Überflutung von stromabwärts gelegenen Siedlungen bestand nach Angaben des Zivilschutzministers Schoigu nicht. Ein großflächiger Ausfall der elektrischen Energieversorgung konnte durch Umleitung von Strom aus anderen Kraftwerken verhindert werden. Die Hauptabnehmer des Kraftwerkes, die angeschlossenen Aluminiumwerke, mussten aber bis auf Weiteres die Produktion drosseln oder einstellen. Davon betroffen war nach ersten Schätzungen eine jährliche Produktionsmenge von 500.000 t. Ein starker Anstieg der Preise für elektrische Energie in Sibirien war laut Experten unvermeidlich.[20][21][22][23] Gegen einen Journalisten des Internet-Journals Nowy Fokus, der am 18. August 2009, unter Berufung auf Quellen unter Angehörigen und unter Kraftwerksmitarbeitern, über in Luftblasen im Maschinenhaus Eingeschlossene Arbeiter berichtete, wurde am 19. August 2009 ein Strafverfahren wegen Verleumdung eingeleitet;[24] am 9. September 2009 wurde er von zwei Unbekannten zusammengeschlagen.[25]
Literatur
Sayano-Shushenskoe is working! In: Hydrotechnical Construction. Band13, Nr.1, Januar 1979, S.3–4, doi:10.1007/bf02304304.
↑Ilya Naymushin: "Sayanskaya Forel" (Sayan Trout) private fish farm. In: Reuters Pictures. 20. März 2015, abgerufen am 27. Oktober 2020: „The Sayano-Shushensakaya hydro-electric power station located upstream affects the water, which doesn't freeze in winter and remains fresh, pure and cold in summer, and provides perfect conditions for the cultivation of the rainbow trout at this site.“
↑ abcFrank A. Hamill: Sayano Shushenskaya 2009 Accident Update. In: hydrolink – Hydraulic Transients. International Association for Hydro-Environment Engineering and Research, 1. Februar 2020, abgerufen am 7. Januar 2024: „A very significant point was made in the March 2010 Hydro Review article, wherein the author indicated that “There are other things in the system that should not have allowed the wicket gates to close that fast.” If these “other things” had been adjusted to permit faster responses to load changes, this could have caused the accident. This had been the tentative conclusion reached in this writer’s December 2010 article in International Water Power and Dam Construction. As mentioned above, nothing in the literature since the 2010 article has surfaced to cause a change in this conclusion.“
↑Саяно-Шушенская ГЭС. Wasserkraftwerk Sayano-Shushenskaya. In: Вести.Ру. Allrussische staatliche Fernseh- und Rundfunkgesellschaft, 17. August 2009, abgerufen am 10. Januar 2024 (russisch): „Bei einem starken Hochwasser im Jahr 1985 wurden 80 % der Sohle des Tosbeckens beschädigt. Die über zwei Meter dicken Bodenplatten, die darunter liegende Betonierung und die Felsen unter der Sohle wurden bis zu einer Tiefe von sieben Meter vollständig zerstört. Die Anker mit einem Durchmesser von 50 mm waren gebrochen und wiesen charakteristische Anzeichen für ein Nachgeben des Metalls auf. […] Im Jahr 1988 führte ein Hochwasser zur Zerstörung des reparierten Beckens. Es wurde beschlossen, das Kraftwerk im Schonbetrieb bei einem niedrigeren maximalen Wasserstand zu betreiben - nicht mehr als 540 m anstelle der geplanten 545 m. [übersetzt mit Deepl]“
↑Wladimir Innokentijewitsch Babkin: СШГЭС и паводок: по неизведанному пути. Wasserkraftwerk Sajano-Schuschenskaja und das Hochwasser: Auf unbekanntem Pfad. In: Плотина.Нет! Kolotov Alexander Anatolyevich, 5. Juni 2010, abgerufen am 2. Oktober 2020 (russisch): „Nach der Zerstörung des Tosbeckenbodens des Wasserkraftwerks Sajano-Schuschenskaja in den Jahren 1985 und 1988 kam man zu dem Schluss, dass es ausgeschlossen war, sich auf die Unversehrtheit des Tosbeckenbodens während eines längeren Durchflusses mit einer 100%igen Öffnung der Schieber zu verlassen. […] Die Kommission empfahl im Jahr 2000, die Belastung auf 5000 m³/s zu begrenzen, d. h. nur einen Teil der Hochwasserentlastungsöffnungen zu 72 % zu öffnen (bei einem Höchststand von 540 m und allen 11 geöffneten Öffnungen kann die Hochwasserentlastungsanlage 7865 m³/s durchlassen). [übersetzt mit Deepl]“
↑Russia Report: May 20, 2004. Khakasia – Putin asked to intervene in dam dispute... In: Radio Free Europe/Radio Liberty. Radio Free Europe/Radio Liberty, 20. Mai 2004, abgerufen am 13. Oktober 2020.
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