Das Glockenläuten bzw. richtiger Glockenschlagen[2] spielt eine wichtige Rolle in den Traditionen der Russisch-Orthodoxen Kirche. In den Glockenwänden bzw. Glockentürmen der russischen Kirchen schwingen die Glocken nicht, sondern sie sind starr befestigt. Sie werden geschlagen, wobei in der Regel pro Glocke ein am Klöppel festgebundenes Seil an den inneren Glockenrand gezogen wird. Sollen mehrere Glocken gleichzeitig erklingen, wird die entsprechende Anzahl von Seilen gleichzeitig gezogen. Je nach Material der Glocke und Härte des Anschlags erklingen unterschiedliche Klangfarben.
Das Glockenläuten in der Russisch-Orthodoxen Kirche hat eine Geschichte, die mit der Taufe der Rus im Jahr 988 beginnt. Es ist ein unverzichtbares Zubehör des christlichen kirchlichen Gottesdienstes.[3] In der Orthodoxie ist das Glockenläuten ein fester Bestandteil der kirchlichen Zeremonien. Gläubige schreiben dem Glockenläuten magische Fähigkeiten zu, unreine Kräfte und Krankheiten zu vertreiben und Naturkatastrophen zu verhindern. Die Verwendung des Läutens von Glocken und Handglocken zu rituellen, magischen Zwecken hat ihre Wurzeln in der fernen Vergangenheit.[4] Die Kunst des Läutens wurde traditionell mündlich überliefert, einige Kathedralen und Klöster hatten Läutegruppen.
Blagowest (russischБлаговест, wiss. TransliterationBlagovest) bzw. Verkündigung – mehrere Glocken werden abwechselnd geläutet. Eine Verkündigung ertönt, um die Gemeinde in die Kirche zu rufen und um anzukündigen, dass der Gottesdienst begonnen hat. Der Verkündigung gehen drei langsame, bis zum Verklingen des Tons reichende Schläge auf der größten Glocke voraus, gefolgt von ruhigen, gemessenen Schlägen.[7]
Pereswon (russischПерезвон, wiss. TransliterationPerezvon) – das Läuten der Glocken, beginnend mit der größten und endend mit der kleinsten. Es wird am Karfreitag und Karsamstag gefeiert. Eine verkürzte Version, wird bei anderen kirchlichen Feiern verwendet.
Perebor (russischПеребор, wiss. TransliterationPerebor) – ein langsames Läuten der Glocken, eine nach der anderen, beginnend mit der kleinsten und endend mit der größten. Es erfolgt im Ritus der Beerdigung. Nach dem Anschlagen der großen Glocke sollen alle Glocken auf einmal angeschlagen werden – und der Refrain beginnt erneut. Perebor endet oft mit einem Glockenspiel als Symbol für die Auferstehung und den Übergang des Verstorbenen in die andere Welt.
Musik
Das Läuten wurde zur Grundlage des künstlerischen Phänomens, das als „Glockenläuten“ bekannt ist – eine eigene Art der russischen Kirchenkunst, die im 17. Jahrhundert Gestalt annahm und regionale Traditionen prägte. Ende des 20. Jahrhunderts wurde es Teil der weltlichen Konzerttradition.
In den späten 1920er Jahren folgte ein inoffizielles Verbot des Glockenläutens, begleitet von der massenhaften Zerstörung von Glocken, die Tradition des Läutens blieb nur in einigen Kirchen und Klöstern erhalten.[11]
Wiederbelebung
In den 1970er-80er Jahren wurde das öffentliche Interesse an der Kunst des russischen Glockenspiels geweckt. Im Jahre 1989 wurde unter der Schirmherrschaft des Kulturfonds der Verband der Glockenkunst Russlands (Ассоциация Колокольного Искусства России) gegründet. 1995 wurde ein Moskauer Zentrum für die Glöcknerausbildung (Московский Колокольный Центр[12]) eingerichtet, und in verschiedenen Städten Russlands wurden Schulen eröffnet (die erste war 1975 in Archangelsk). Es werden auch Festivals und Konzerte mit Glockenspielmusik veranstaltet.[11]
Film
In der Glockenspiel-Szene[13] der sowjetischenFilmkomödieIwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf (russischИван Васильевич меняет профессию) aus dem Jahr 1973 ist das Glockenensemble[14] der Glockenwand[15] der Mariä-Entschlafens-Kathedrale[16] im – seinerzeit als Freilichtmuseum (russ. музей-заповедник) genutzten – Rostower Kreml zu hören und sehen, „das wohl wertvollste historische Glockenensemble Russlands mit insgesamt 15 Glocken[17]“. Der sich bei einer wilden Verfolgungsjagd in den vielen Seilen dieses Glockenensembles des Rostower Kremls verheddernde Bunscha spielt dabei (ohne sein bewusstes Zutun) Tschischik-Pyschik[18]. In der (aus musikalischer Sicht) komischsten Szene des Films beendet sein Begleiter dann die von ihm zufällig begonnene Melodie von Moskauer Nächte – gezielt mit den letzten drei Tönen.[19]
Typikon for Church Bell Ringing (PDF), Moscow: Editorial Board of the Russian Orthodox Church, 2002, retrieved 2007-12-29 (English translation 2003 by Blagovest Bells, San Anselmo, Cal.)
↑Колокольный звон // Основы духовной культуры (энциклопедический словарь педагога) / Grundlagen der spirituellen Kultur (Das enzyklopädische Wörterbuch des Lehrers)
↑ abБРЭ: Колокольные звоны (М. В. Есипова) / Artikel: Kolokolnyje swony (russischКолокольные звоны, wiss. TransliterationKolokol'nye zvony) in der Großen Russischen Enzyklopädie (35 Bände, 2004–2017).