Richtlinie 2003/8/EG über Prozesskostenhilfe bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug

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Richtlinie 2003/8/EG

Titel: Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen
Bezeichnung:
(nicht amtlich)
Prozesskostenhilfe-Richtlinie
EU-ProzesskostenhilfeRL
Geltungsbereich: EU
Rechtsmaterie: Zivilrecht, Handelsrecht
Grundlage: EGV, insbesondere Artikel 61 Buchstabe c und Artikel 67
Verfahrensübersicht: Europäische Kommission
Europäisches Parlament
IPEX Wiki
In nationales Recht
umzusetzen bis:
30. November 2004 mit Ausnahme der vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung
30. Mai 2006 vollständig
Fundstelle: ABl. L 26 vom 31.1.2003, S. 41–47
Volltext Konsolidierte Fassung (nicht amtlich)
Grundfassung
Regelung muss in nationales Recht umgesetzt worden sein.
Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union

Die Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003[1] über Prozesskostenhilfe bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug in Zivil- und Handelssachen[2] ist eine international-zivilverfahrensrechtliche Richtlinie (kurz: EU-ProzesskostenhilfeRL).

Die RL 2003/8/EG gibt dem Unionsbürger, welcher in einem anderen Unionsmitgliedstaat[3] einen Rechtsstreit mit einem Unternehmen, Dienstleistungserbringer, einem Arbeitgeber oder einer anderen Person führen muss, den diskriminierungsfreien Zugang[4] zu den notwendigen finanziellen Unterstützungen oder Erleichterungen. Dadurch kann er sein Recht effektiv vertreten.[5] Dies wird durchwegs durch den Zugang der Unionsbürger mit einem anderen Wohnsitz als in dem Unionsmitgliedstaat, in welchem sie das Verfahren führen müssen, zur nationalen Prozesskostenhilfe (auch Verfahrenshilfe genannt) ermöglicht.[6]

Rechtsgrundlage

Der Europäische Rat hat anlässlich der Tagung in Tampere (Finnland) vom 15. und 16. Oktober 1999 den Ministerrat ersucht, Mindeststandards zur Gewährleistung eines angemessenen Niveaus der Prozesskostenhilfe bei grenzüberschreitenden Rechtssachen in allen Ländern der Union zu verabschieden.[7]

Die daraufhin erarbeitete und vom Ministerrat verabschiedete Richtlinie 2003/8/EG wurde sodann auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 61 Buchstabe c und Artikel 67 gestützt, um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln.[8]

Umfang

Von diesem Zugang zur nationalen Prozesskostenhilfe für Zivil- und Handelssachen mit grenzüberschreitendem Bezug[9] ist auch die

  • vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung,[10]
  • außergerichtliche Verfahren, Schlichtungsverfahren,[11]
  • die Beigebung eines Rechtsbeistand bei Anrufung des Gerichts und
  • die rechtliche Vertretung vor Gericht durch einen Rechtsanwalt sowie
  • den Zuschuss zu bzw. die Befreiung von den Gerichtskosten und anderen Gebühren oder Kosten,[12]
  • Vollstreckung öffentlicher Urkunden in einem anderen Mitgliedstaat.[13]

umfasst. Ob die den Unionsbürgern gewährte Prozesskostenhilfe auch die bei Prozessverlust auflaufenden und auferlegten Kosten der Gegenpartei einschließen sollen, bleibt dem Recht des jeweiligen Unionsmitgliedstaats überlassen.[14]

Prozesskostenhilfe muss von den Unionsmitgliedstaaten für das gesamte Verfahren gewährt werden, einschließlich der Kosten für die Vollstreckung eines Urteils und weiterer Rechtsbehelf.[15] In bestimmten Verfahren können die Unionsmitgliedstaaten vorsehen, dass generell keine Prozesskostenhilfe gewährt wird.[16]

Unter Umständen können die Unionsmitgliedstaaten verlangen, dass die Empfänger der Prozesskostenhilfe sich angemessen an den Prozesskosten beteiligen, sofern ihre finanziellen Verhältnisse dies zulassen.[17]

Zugang

Um die Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug zu erhalten, muss der Unionsbürger ein entsprechendes Standardformular für den Antrag auf Prozesskostenhilfe ausfüllen und einreichen. Die Richtlinie 2003/8/EG sieht dafür zwei Standardvordrucke vor:

  • ein Formular für den Antrag auf Prozesskostenhilfe und
  • ein Formular für die Übermittlung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe.

Diese können auch online in allen Amtssprachen der Europäischen Union abgerufen werden. Diese Standardformulars für Anträge auf Prozesskostenhilfe und für die Übermittlung der Anträge auf Prozesskostenhilfe sollen die Verfahren vereinfachen und beschleunigen.[18]

Anträge auf Prozesskostenhilfe können kostenfrei

  • bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder auch
  • bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands oder des Vollstreckungsmitgliedstaats

eingereicht werden (Art 13 RL 2003/8/EG). Der Zugang kann von den Unionsmitgliedstaaten durch Schwellenwerte unter Umständen beschränkt werden. Diese Schwellenwerte legen fest, wann anhand verschiedener objektiver Faktoren wie Einkommen, Vermögen oder familiäre Situation eine Person in der Lage ist die Kosten selbst zu tragen.[19]

Bei mutwilligen Verfahren und solchen, die offensichtlich wenig Erfolgsaussichten haben und ähnliches, können die Mitgliedstaaten die Prozesskostenhilfe verweigern.[20]

Aufbau der Richtlinie

Die RL 2003/8/EG besteht aus 14 Erwägungsgründen und 23 Artikeln in fünf Kapiteln:

Kapitel I: ANWENDUNGSBEREICH UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

Artikel 1: Ziele und Anwendungsbereich

Artikel 2: Grenzüberschreitende Streitsachen

KAPITEL II: ANSPRUCH AUF PROZESSKOSTENHILFE

Artikel 3: Anspruch auf Prozesskostenhilfe

Artikel 4: Diskriminierungsverbot

KAPITEL III: VORAUSSETZUNGEN UND UMFANG DER PROZESSKOSTEN

Artikel 5: Voraussetzungen für die finanziellen Verhältnisse

Artikel 6: Voraussetzungen für den Inhalt der Streitsache

Artikel 7: Durch den grenzüberschreitenden Charakter der Streitsache bedingte Kosten

Artikel 8: Vom Mitgliedstaat des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts zu übernehmende Kosten

Artikel 9: Weitergewährung der Prozesskostenhilfe

Artikel 10: Außergerichtliche Verfahren

Artikel 11: Öffentliche Urkunden

KAPITEL IV: VERFAHREN

Artikel 12: Für die Gewährung der Prozesskostenhilfe zuständige Behörde

Artikel 13: Einreichung und Übermittlung der Anträge auf Prozesskostenhilfe

Artikel 14: Zuständige Behörden und Sprachen

Artikel 15: Bearbeitung der Anträge

Artikel 16: Standardformular

KAPITEL V: SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 17: Ausschuss

Artikel 18: Information

Artikel 19: Günstigere Bestimmungen

Artikel 20: Verhältnis zu anderen Übereinkünften

Artikel 21: Umsetzung in innerstaatliches Recht

Artikel 22: Inkrafttreten

Artikel 23: Adressaten

Strafverfahren

Die Prozesskostenhilfe im Strafprozess ist von dieser Richtlinie (noch) nicht umfasst. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Strafprozessen wird derzeit von jedem Unionsmitgliedstaat im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit geregelt.

Es gibt bezüglich Strafverfahren und Prozesskostenhilfe mit grenzüberschreitendem Bezug daher derzeit keine EU-Gesetzgebung. Die Europäische Kommission hat jedoch mehrere Vorschläge (Legislativpaket) zur Stärkung der Verfahrensrechte vorgelegt bzw. umgesetzt:

Verhältnis zu anderen Übereinkommen

Durch die RL 2003/8/EG werden gemäß Erwägungsgrund 32 der RL 2003/8/EG „das Übereinkommen von 1977[21] und das 2001 in Moskau unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe[22] […]“ in „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die Vertragsparteien des Übereinkommens von 1977 oder des Protokolls sind“ nicht geändert.

„In den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten [mit Ausnahme von Dänemark] hingegen hat diese Richtlinie Vorrang vor den Bestimmungen des Übereinkommens von 1977 und des Protokolls“.[23] Dies gilt auch für das Haager Abkommen von 25. Oktober 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten.[24]

Literatur

  • Tomasz Krzysztof Klama: Die Prozesskostenhilfe im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr. Der Zugang zum Recht für Bedürftige im deutsch-polnischen Rechtsvergleich, Jenaer Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Jena 2023, ISBN 978-3-948383-31-2
  • Serge-Daniel Jastrow: EG-Richtlinie 8/2003 – Grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivilsachen. In: MDR. 2004, S. 75 ff.
  • Rolf A. Schütze: Das internationale Zivilprozessrecht in der ZPO. De Gruyter, Berlin / New York 2011, ISBN 978-3-11-025083-1.

Einzelnachweise

  1. Gemäß der Berichtigung der Richtlinie 2002/8/EG, ABl L32/15, ist der richtige Text der Richtlinie: 2003/8/EG. Die Richtlinie ist aber weiterhin in den vielen Rechtsdatenbanken unter 2002/8/EG abrufbar, da keine konsolidierte Fassung veröffentlicht wurde. Im Weiteren wird durchwegs der korrekte Titel: 2003/8/EG verwendet. Die ursprüngliche Richtlinie 2002/8/EG ist eine solche der Kommission vom 6. Februar 2002 zur Änderung der Richtlinien 72/168/EWG und 72/180/EWG zur Festlegung von Merkmalen und Mindestanforderungen für die Prüfung von Sorten von Gemüsearten bzw. landwirtschaftlicher Pflanzenarten, ABl L 37/7.
  2. Langtext: Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen. ABl L26/41.
  3. Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks – Art 1 Abs. 3 der RL 2003/8/EG.
  4. Siehe Art 4 der RL 2003/08/EG. Nach Art 19 der RL können die Unionsmitgliedstaaten günstigere Bestimmungen für Antragsteller und Empfänger von Prozesskostenhilfe vorsehen bzw. gewähren als in der RL vorgesehen.
  5. Gemäß Erwägungsgrund 13 umfasst die RL 2003/8/EG auch Personen aus Drittstaaten. welche ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Unionsmitgliedstaat haben. Die Richtlinie gilt nicht für Unionsbürger, welche in Dänemark ihren Wohnsitz haben, da Dänemark erklärt hat, an der Umsetzung dieser Richtlinie nicht teilnehmen zu wollen (siehe Erwägungsgrund 34 der RL 2003/8/EG).
  6. Siehe Art 2 RL 2003/8/EG.
  7. Siehe Erwägungsgrund 3 der RL 2003/08/EG.
  8. Siehe auch Erwägungsgrund 1 ff der RL 2003/08/EG.
  9. Siehe Erwägungsgrund 9 und Art. 1 Abs. 2 der RL 2003/08/EG. Die RL 2003/8/EG gilt daher nicht Steuer- und Zollsachen und nicht für verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.
  10. Siehe Erwägungsgrund 11 und Art. 3 Abs. 2 lit. a) der RL 2003/08/EG.
  11. Siehe Erwägungsgrund 21 und Art 10 der RL 2003/08/EG.
  12. Siehe Art 3 Abs. 2 lit. b) und Art 7 der RL 2003/08/EG.
  13. Siehe Erwägungsgrund 22 und Art 11 der RL 2003/08/EG.
  14. Siehe Erwägungsgrund 12 und Art 3 Abs. 2 der RL 2003/08/EG.
  15. Siehe Erwägungsgrund 20 und Art 9 der RL 2003/08/EG.
  16. Siehe Art 3 Abs. 3 der RL 2003/08/EG.
  17. Siehe Art 3 Abs. 4 und Abs. 5 und Art 5 der RL 2003/08/EG.
  18. Siehe Erwägungsgrund 28 und Art 16 der RL 2003/08/EG. Siehe auch Beschluss 2005/630/EG der Kommission vom 26. August 2005 zur Erstellung eines Formulars für die Übermittlung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe gemäß der Richtlinie 2003/8/EG des Rates, Amtsblatt L 225 vom 31. August 2005, und die Entscheidung der Kommission vom 9. November 2004 zur Erstellung eines Formulars für Anträge auf Prozesskostenhilfe gemäß der Richtlinie 2003/8/EG des Rates zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2004) 4285), Amtsblatt L 365 vom 10. Dezember 2004.
  19. Siehe Erwägungsgrund 14 ff der RL 2003/08/EG.
  20. Siehe Erwägungsgrund 17 und Art 6 der RL 2003/08/EG.
  21. Europäisches Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe vom 27. Januar 1977 (Straßburg).
  22. Moskauer Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe.
  23. Siehe auch Art 20 der RL 2003/8/EG. Zwischen Dänemark und mehreren Mitgliedstaaten gilt weiterhin das Europäische Übereinkommen von 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe.
  24. Siehe Art 20 lit. b) der RL 2003/8/EG.

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