Richard Hertwig studierte gemeinsam mit seinem älteren Bruder Oscar Hertwig, mit dem er auch Schule und Gymnasium in Mühlhausen/Thüringen absolviert hatte, zunächst Chemie[1] und dann Medizin an der Universität Jena. Unter Einflussnahme Ernst Haeckels verlagerte er sein Interesse mehr zur Zoologie und Biologie. 1872 machte er an der Universität Bonn seinen Doktor und arbeitete dort als Assistent bei Max Schultze am Anatomischen Institut, und zwar in unregelmäßigem Wechsel mit seinem Bruder Oscar Hertwig.
Nach dem Tode von Max Schultze habilitierte er sich 1875 in Jena bei Ernst Haeckel im Bereich der Zoologie und wurde dort 1878 außerordentlicher Professor, bis er 1881 an die Universität Königsberg als ordentlicher Professor für Zoologie berufen wurde. Im Jahr 1881 wurde von Hertwig zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Als Nachfolger von Franz Troschel wechselte er 1883 an die Universität Bonn und wurde dort erster Direktor des Zoologischen Museums und Instituts. Allerdings folgte er schon 1885 einem Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis 1925 blieb und als Leiter der Zoologischen Staatssammlung sowie als Direktor des Zoologischen Instituts wirkte, die er zu einem Zentrum der biologischen Wissenschaft entwickelte.
Sein Schüler Otto Koehler wurde zu einem der Begründer der Ethologie in Deutschland.
Forschungstätigkeit
Zu Beginn seiner Laufbahn machte er viele Arbeiten zusammen mit seinem Bruder Oscar Hertwig. Zusammen entwickelten sie 1881 die Coelomtheorie, ein Versuch der Erklärung des mittleren Keimblatts im Coelom (der sekundären Leibeshöhle), die wichtige Erkenntnisse in der Embryologie brachte. Sie vermutet, dass sich alle Organe und Gewebe verschiedenartig aus drei grundlegenden Gewebeschichten entwickeln.
Hertwig arbeitete systematisch an mehreren Gruppen von Wirbellosen und erstellte grundlegende Arbeiten zum Bau von Tieren. 1895 stellte er innerhalb der Bivalvia die heute noch valide Unterklasse Heteroconchia (s. Systematik der Muscheln) auf. Bekannt sind auch seine Beiträge zur Protozoenforschung. Er war auch der erste, der anhand des Seeigeleis den Befruchtungsprozess erstmals richtig als Verschmelzung von Ei- und Spermakern erklärte. Im Jahr 1896 war es ihm gelungen, das Seeigel-Ei mit Strychnin künstlich zur Entwicklung (Parthenogenese)[6] anzuregen.
Später untersuchte er mit seiner Nichte Paula Hertwig und seinem Neffen Günther Hertwig, den Kindern seines Bruders Oscar, noch die Einwirkung von Radiumstrahlen auf tierische Keimzellen.
Schriften
Zur Histologie der Radiolarien: Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Sphaerozoiden und Thalassicolliden. 1876 doi:10.5962/bhl.title.14887
Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. 1878
Über Korrelation von Zell- und Kerngröße (Kernplasmarelation). In: Biol Zbl 23, 1903: 49–62.
Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. Nebst Bemerkungen zur Aetiologie der Geschwülste. In: Denkschriften der Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, 11, (= Festschrift zum siebzigsten Geburtstage von Ernst Haeckel, Herausgegeben von seinen Schülern und Freunden), Fischer, Jena 1904, S. 301–354 (Digitalisat)
Abstammungslehre, Systematik, Paläontologie, Biogeographie. In: Die Kultur der Gegenwart. Dritter Teil. Mathematik Naturwissenschaften Medizin. Berlin 1914 doi:10.5962/bhl.title.1377
Barbara I. Thisuaka: Hertwig, Richard von. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 580 f.
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 112.
↑Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 27.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 47.