Herkunft, erste berufliche Tätigkeiten, Konversion
Paulus Cassel wurde als Sohn des jüdischen Bildhauers Hirsch Cassel geboren. Sein ursprünglicher Vorname lautete Selig. Sein Bruder David (1818–1893) wurde Pädagoge und wirkte als Dozent an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judenthums.
Um 1860 hatte er in Berlin für kurze Zeit die Stelle eines Gymnasiallehrers inne, wirkte aber vor allem als freier Schriftsteller. Im Jahr 1866 wurde er als Mitglied der Konservativen Partei für den Wahlkreis Teltow – Beeskow – Storkow in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt, blieb dies aber nur für ein Jahr. Er erregte als Redner Heiterkeit durch Plattheiten und missglückte Satzbilder.[1]
Missionar der judenchristlichen Missionsgesellschaft
Um 1867 kam Cassel in Kontakt mit der Londoner Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums unter den Juden (Church’s Ministry among Jewish People), die ihn als Reiseprediger anstellte. Gleichzeitig übernahm er die Aufgaben eines Pastors an der damals freikirchlich orientierten Christuskirche in Berlin-Kreuzberg. Hier machte er auch auf den jungen Adolf Damaschke, den späteren Pädagogen und Bodenreformer, einen bleibenden Eindruck.
Galt seine theologische Arbeit in der ersten Phase seines 24-jährigen pastoralen Dienstes vor allem der Judenmission, so kämpfte er in den letzten Jahren seines Lebens verstärkt gegen den aufflammenden Antisemitismus des späten 19. Jahrhunderts an, so etwa im Zuge des Berliner Antisemitismusstreits.
Paulus Cassel starb 1892 im Alter von 71 Jahren in Friedenau bei Berlin. Sein Grabdenkmal aus schwarzem Granit auf dem Friedhof I der Jerusalems- und Neuen Kirche in Berlin-Kreuzberg ist erhalten, jedoch ging ein Medaillon mit seinem Porträt verloren.[2] Seine sehr umfangreiche Bibliothek wurde im Dezember 1893 in einer fünftägigen Auktion versteigert.[3]
Schriften
Paulus Cassel betätigte sich als Autor auf vielen Feldern; einen Eindruck davon gibt folgende (unvollständige) Bibliographie:
Historische Schriften:
(Selig Cassel) Historische Versuche: Anmerkungen zu Benjamin von Tudela. Französische Städtenamen. Apologie. Adolf, Berlin 1847 (Digitalisat).
Von Warschau nach Olmütz. Berlin 1851.
Weihnachten, Ursprünge, Bräuche und Aberglauben. Ein Beitrag zur Geschichte der christlichen Kirche und des deutschen Volkes. Erlangen 1856 (Digitalisat).
Deutsche Reden. 10 Hefte. Berlin 1871.
Theologische Schriften:
Das Buch der Richter und Ruth. Velhagen und Klasing, Bielefeld 1865; 2. Auflage, Velhagen und Klasing, Bielefeld 1887.
Das Buch Esther. Ein Beitrag zur Geschichte des Morgenlandes, aus dem hebräischen Urtext übersetzt, historisch und theologisch erläutert. Berlin 1878; Verlag des Bibliographischen Bureaus, Berlin und Leipzig 1885.
Der Judengott und Richard Wagner, eine Antwort an die Bayreuther Blätter. Wohlgemuth, Berlin 1885 (Digitalisat).
Wie ich über Judenmission denke. Ein kurzes Sendschreiben an englische Freunde. Als Manuskript gedruckt. Berlin 1886.
Geographische Beschreibungen:
Über thüringische Ortsnamen. Villaret, Erfurt 1856.
Thüringer Ortsnamen. Zweite Abhandlung Villaret, Erfurt 1858.
Über Thüringische Ortsnamen. Zwei Abhandlungen, unveränderter Nachdruck der in Erfurt 1856 und 1858 erschienenen Abhandlungen, besorgt von Ludwig Erich Schmitt (= Mitteldeutsche Forschungen. Sonderreihe: Quellen und Darstellungen in Nachdrucken 5). Böhlau, Köln / Wien 1983.
Vom Nil zum Ganges. Wanderungen in die orientalische Welt. Hofmann, Berlin 1880 (Digitalisat).
Kirchenliedersammlung:
Hallelujah. Einhundert und acht und achtzig geistliche Lieder. Cassel, Berlin 1889.
↑Ernest Hamburger: Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit 1848–1918. Mohr Siebeck, Tübingen 1968, S. 219.
↑Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 212.
↑Teltower Kreisblatt vom 19. Dezember 1893, S. 2 (Digitalisat).