Nico Semsrott

Nico Semsrott in seinem Erkennungszeichen – der schwarzen Kapuzenjacke (2018)

Nico Semsrott (* 11. März 1986 in Hamburg) ist ein deutscher Kabarettist, Satiriker, Slam-Poet und Politiker (parteilos, zuvor Die PARTEI). Von Juli 2019 bis Juli 2024 war er Mitglied des Europäischen Parlaments.[1] Semsrott tritt als depressiv erscheinende Kunstfigur auf Poetry Slams,[2] Kabarettbühnen und im Fernsehen auf.

Werdegang

Schulzeit und Studium

Während seiner Schulzeit an der Hamburger Sophie-Barat-Schule gehörte Semsrott zur Redaktion der Schülerzeitung Sophies Welt, die jedoch durch einen Beratungslehrer zensiert wurde. Nach einem Streit mit der Schulleitung gründete Semsrott gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder, dem heutigen Journalisten Arne Semsrott,[3] die eigenständige und später prämierte Schülerzeitung Sophies Unterwelt. Deren Verkauf auf dem Schulgelände wurde von der Schulleitung verboten, nach einer erfolgreichen Klage der Brüder Semsrott jedoch außerhalb des Schulgeländes gestattet.[3][4]

Nach dem Abitur absolvierte Semsrott zwei journalistische Praktika sowie ein Praktikum bei der Berliner Schaubühne und verbrachte ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Jungen Presse Hamburg. Da er zunächst abgewiesen worden war, klagte er sich anschließend an der Universität Hamburg für ein Studium der Soziologie und Geschichte ein, brach es jedoch nach sechs Wochen wieder ab.[5]

Comedy-Auftritte

Sein erstes Soloprogramm mit dem Titel Freude ist nur ein Mangel an Information hatte am 14. Juni 2012 in Hamburg Premiere. Ab 2014 war Semsrott mit einer ständig aktualisierten Fassung des Programms auf Tour, wobei der Titel durch den Zusatz „Update“ und eine jährlich um 0.5 erhöhte Versionsnummer ergänzt wurde. Seit 2019 pausiert er aufgrund seines politischen Engagements.[6] 2017 bis 2019 gehörte er zum Ensemble der heute-show im ZDF.[7] Er stellt sich dabei dem Publikum meist als „Demotivationstrainer“ vor. Auch auf dem Stimmzettel zur Europawahl 2019 stand dies als Beruf.[8]

Politischer Werdegang

Bundestagswahl 2017 (2017)

Semsrott führte zur Bundestagswahl 2017 als Spitzenkandidat die Berliner Landesliste der Partei Die PARTEI an,[3] die dort 2,1 % der Stimmen erreichte.[9]

Mitglied des Europäischen Parlaments (2019 bis 2024)

Europawahl 2019

Bei der Europawahl 2019 kandidierte er für Die PARTEI auf Listenplatz 2 hinter Martin Sonneborn.[10] Im Wahlkampf kritisierte er oft eine mangelhafte Auseinandersetzung älterer Politiker mit jüngeren Generationen, da diese weniger Gewicht hätten. So forderte er in einer satirischen Wahlwerbung ein „Höchstwahlalter“.[11] Bei der Wahl am 26. Mai 2019 erreichte Die PARTEI in Deutschland 2,4 % der Stimmen. Damit errang Semsrott neben Sonneborn ein Mandat im Europäischen Parlament. Während Sonneborn sich wie in der Legislaturperiode zuvor entschied, fraktionslos zu bleiben, gab Semsrott bekannt, der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz beizutreten.[12][13] Für seine Fraktion war er Mitglied im Haushaltskontrollausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuss.[14] Im April 2024 erschien Semsrotts Buch Brüssel sehen und sterben über seine Zeit im Europaparlament.[15] Er schildert im Buch Machtmissbrauch, Intransparenz und seine Ohnmachtsgefühle.[16] Zur Europawahl 2024 trat Semsrott nicht mehr an. Er schied somit im Juli 2024 aus dem Europaparlament aus.

Diebstahlserie im Europäischen Parlament

Durch Semsrott wurde eine Diebstahlserie im Europäischen Parlament während der COVID-19-Pandemie bekannt.[17] Ein von ihm auf der Plattform YouTube veröffentlichtes Video, in dem er den Diebstahl und die Untätigkeit des zuständigen Sicherheitsdienstes thematisiert, fand internationale Resonanz.[18][19][20][21][22]

Austritt aus der PARTEI

Am 13. Januar 2021 gab Semsrott seinen Austritt aus der PARTEI öffentlich bekannt.[23] Sonneborn habe laut Semsrott seine „Verantwortung als Vorsitzender der PARTEI mit 50.000 Mitgliedern und zuletzt 900.000 Wähler*innen“[23] nicht ausreichend wahrgenommen, als er wiederholt nicht ernsthaft auf die Kritik an ihm reagiert habe.[24] Der Medienjournalist Michael Hanfeld bewertete in der FAZ den Vorgang als das Ende des „Satireprojekts“ von Die PARTEI und kritisierte, dass Semsrott trotz Austritt sein EU-Mandat behalte. Hanfeld warf Semsrott zudem eine „engstirnige Borniertheit“ vor, „die Witze und Satire nur erträgt, wenn diese nicht auf Kosten der eigenen Weltanschauung und Peergroup gehen“.[25]

Privates

Semsrott leidet unter Depressionen. Im Juli 2021 machte Semsrott öffentlich, seit Mai 2020 eine anhaltende depressive Phase zu durchleben. Im November 2021 gab er dem Hörfunksender COSMO ein einstündiges Interview über seine Erkrankung.[26][27]

Auszeichnungen

Schriften

  • Brüssel sehen und sterben: wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe. Rowohlt Polaris, Hamburg 2024, ISBN 978-3-499-01410-9.
Commons: Nico Semsrott – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bundeswahlleiter: Gewählte Europawahl 2019. In: bundeswahlleiter.de. Abgerufen am 27. Mai 2019.
  2. Volkan Ağar: EU-Abgeordneter Nico Semsrott: Er meint das ernst. In: Die Tageszeitung: taz. 9. Juli 2019, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 5. August 2019]).
  3. a b c Matthias Hanselmann: Nico und Arne Semsrott – Mal lustig, mal ernst – aber immer politisch. In: deutschlandfunkkultur.de. 20. Juli 2017, abgerufen am 2. Oktober 2017.
  4. Benedikt Mandl: Pressekrieg um „Sophies Unterwelt“. In: Spiegel Online. 1. Juli 2005, abgerufen am 28. Mai 2019.
  5. Uni-Loser Felix Dachsel trifft Nico Semsrott. In: spiegel.de. 28. November 2013, abgerufen am 22. Juli 2019.
  6. Warum ich aufhöre. In: facebook.com. Nico Semsrott, 5. November 2018, abgerufen am 6. November 2018.
  7. Daniel Sobolewski: „Heute Show“ im ZDF: Beliebter Satiriker geht – weil er jetzt einen besseren Job hat. In: derwesten.de. 27. Mai 2019, abgerufen am 27. Mai 2019.
  8. Musterstimmzettel für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 26. Mai 2019 im Land Nordrhein-Westfalen (Memento vom 11. Juni 2020 im Internet Archive) In: im.nrw, abgerufen am 28. Mai 2019. (PDF; 1,9 MB)
  9. Vorläufiges Ergebnis der Bundestagswahl in Berlin. (PDF; 38,2 kB) In: wahlen-berlin.de. Die Landeswahlleiterin, 25. September 2017, abgerufen am 2. Oktober 2017.
  10. dpa: Mit Göbbels und Speer als Kandidaten. In: faz.net, 22. August 2018, abgerufen am 28. Mai 2019.
  11. Nico Semsrott: Wahlwerbung. In: www.youtube.com. Abgerufen am 31. Mai 2019.
  12. EU-Parlament: Sonneborns Satirepartei bekommt zwei Sitze. In: Spiegel.de. 26. Mai 2019, abgerufen am 26. Mai 2019.
  13. Greens in the EP: We are pleased to announce that a further 5 MEPs joined the @GreensEP Welcome to: @PiratKolaja, @MarketkaG, @vonpecka from @PiratskaStrana @echo_pbreyer from @Piratenpartei @nicosemsrott from @DiePARTEI. We are now 74 & talks with other parties are still ongoing pic.twitter.com/tbFZzLjgcV. In: @GreensEP. 4. Juni 2019, abgerufen am 4. Juni 2019 (englisch).
  14. Nico Semsrott | Abgeordnete. Europäisches Parlament, abgerufen am 5. Juli 2019.
  15. Brüssel sehen und sterben. Rowohlt, abgerufen am 2. April 2024.
  16. „Die da oben machen sich die Regeln selbst“. In: n-tv.de. 8. Juni 2024, abgerufen am 8. Juni 2024.
  17. EU-Parlament: Während Corona-Schließung kam es offenbar zu Diebstahlserie. In: Spiegel.de. Der Spiegel, 2. Juli 2020, abgerufen am 8. Juli 2020.
  18. Nico Semsrott: In meinem Abgeordnetenbüro in Brüssel wurde eingebrochen! YouTube, abgerufen am 8. Juli 2020.
  19. Nico Semsrott: Neues Sicherheitssystem im Parlament eingeführt. Abgerufen am 8. Juli 2020.
  20. Michael Schneider: Einbruchsserie im EU-Parlament beunruhigt Abgeordnete. In: tagesschau.de. 4. Juli 2020, abgerufen am 13. März 2024.
  21. Maïa de La Baume: Thieves use lockdown as cover for EU Parliament burglaries. In: Politico. 1. Juli 2020, abgerufen am 13. März 2024 (englisch).
  22. James Frater: European Parliament members’ offices burgled during lockdown. In: CNN. 1. Juli 2020, abgerufen am 13. März 2024 (englisch).
  23. a b Humorlose Erklärung, warum ich aus Die PARTEI austrete. In: nicosemsrott.eu. 13. Januar 2021, abgerufen am 13. Januar 2021.
  24. Nico Semsrott verlässt »Die Partei« nach Sonneborn-Eklat. 13. Januar 2021, abgerufen am 13. Januar 2021.
  25. Michael Hanfeld: Nach Nico Semsrotts Austritt: Die Partei wird satirefrei. In: faz.net. 14. Januar 2021, abgerufen am 31. Mai 2024.
  26. Warum passiert hier so wenig? In: Website von Nico Semsrott. 1. Juli 2021, abgerufen am 12. Dezember 2021.
  27. Miriam Davoudvandi: Nico Semsrott über Depressionen als Politiker und Weltschmerz. In: COSMO Danke, gut. Der Podcast über Pop und Psyche. 4. November 2021, abgerufen am 14. Juni 2024.
  28. Melanie Wolfmeier: Das ist … der Poetry-Slammer, der die Logik der AfD zerlegt. In: Jetzt.de. Süddeutsche Zeitung, 2. September 2016, abgerufen am 8. Oktober 2019.
  29. Nico gewinnt Finale (Memento vom 15. Oktober 2013 im Internet Archive), N-JOY.de
  30. Kulturbörsenpreis für fünf A-Cappella-Sängerinnen. In: Badische Zeitung. 27. Januar 2012, abgerufen am 27. Januar 2012.