2006 wurde er Assistant Professor am Institut für Gravitation und Kosmologie (Institute for Gravitation and the Cosmos, IGC) der Pennsylvania State University bei Abhay Vasant Ashtekar, einem der Pioniere der Schleifenquantengravitation. Dort ist er seit 2009 als Associate Professor tätig.
„Aus der Quantenphysik wissen wir, dass Materie aus Atomen besteht. Die Schleifenquantengravitation, kurz Loop-Theorie, teilt auch den Raum und die Zeit in kleinste Einheiten auf, quasi in „Raumzeit-Atome“. Die sind so klein, dass man sie wohl niemals direkt beobachten kann. Wir reden von Schleifen, aber der Name ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass diese kleinsten Einheiten verhindern, dass das Universum im Urknall auf die Größe null schrumpft.“
– Max Rauner: Das umgekrempelte Universum. Interview mit Martin Bojowald. In: Die Zeit, 01/2009.[3]
Er vertritt die Theorie des Big Bounce, eines von der Urknall-Theorie abweichenden zyklischen Modells. Hierbei wird der Big Bang als ein Großer Rückprall (Big Bounce) interpretiert. Demnach hätte das Weltall weder Anfang noch Ende. Es war immer schon da. Ein sich unter dem Einfluss der Gravitation bis zu einer höchsten Dichte kontrahierendes Universum implodiert in einem Big Crunch (Kollaps), woraufhin es zu einem Big Bounce (großen Rückprall) kommt. Eine neue Expansionsphase beginnt, bis die Gravitation die Ausdehnung wieder stoppt und es zu einer erneuten Kontraktion kommt.[4] Diese zyklischen Phasen: Kontraktion eines Vorgängeruniversums bis zum Big Crunch (Kollaps) – Rückprall (Big Bounce), Expansion eines Nachfolgeuniversums, Rekollaps ..., wiederholen sich nach diesem Modell in einem ewigen Kreislauf:
„Der Urknall wäre demnach die explosive Folge einer noch früheren Implosion, verursacht durch exotische Quanteneffekte.“
Bojowald versucht, mit mathematischen Methoden den Ursprung des Universums zu ergründen.
„Ich hatte an mathematischen Methoden zur Beschreibung des Universums gearbeitet. In einer der Gleichungen konnte man ein Vorzeichen frei wählen, plus oder minus. Mir fiel auf, dass man das Minus als Zeit vor dem Urknall und das Plus als Zeit nach dem Urknall interpretieren konnte.“
– Max Rauner: Das umgekrempelte Universum. Interview mit Martin Bojowald. In: Die Zeit, 23. Dezember 2008.[6]
Das Big-Bounce-Modell umgeht das Problem der Singularität, welche die ART an ihre Grenzen bringt. Bojowald bemüht das Bild eines umgestülpten Luftballons. Wie in einem umgestülpten Luftballon[7], seien Raum- und Zeitrichtungen invertiert, und man habe es mit einem kontrahierenden, kollabierenden Universum jenseits des Urknalls zu tun. Der durch die SQG hinzukommende neue Aspekt ist nach Bojowald ein repulsives Verhalten (Big Bounce, Rückprall) der Gravitation bei allerkleinsten Abständen im Bereich der Planck-Dimensionen:
„Wie ein poröser Schwamm , der nur eine begrenzte Menge Wasser aufnehmen kann und in vollgesogenem Zustand Überschusswasser ausstößt, so wirkt das Zeitgitter abstoßend, sobald an einem Zeitpunkt zu viel Energie lokalisiert zu werden droht. […] Wegen der Kleinheit der Zeitschritte kann ein Zeitgitter sehr viel Energie aufnehmen, aber nicht beliebig viel. Dies wird am Urknall bedeutend, dem höchst-energetischen Ereignis im Universum. […] Ein Überschuss an Energie kann nur verhindert werden, indem der Kollaps des Universums selbst, also die Ursache für den Energiezuwachs, gestoppt und in Expansion umgekehrt wird.“
– Martin Bojowald: Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, S. 137–138.[8]
Im Rahmen seines Modells gab Bojowald auch eine neue Interpretation der Inflationstheorie des Universums.[9]
Physik oder Metaphysik
„Längst hat sich innerhalb der Astrophysik und Kosmologie ein subtiler Trend zum Metaphysischen abgezeichnet.“
– Harald Zaun: Die Ewigkeit vor dem Urknall, 2004[10]
So tastet sich auch der Kosmologe Martin Bojowald in seinem populärwissenschaftlichen Bestseller Zurück vor den Urknall[11] bis an die Grenzen der Empirie heran und überschreitet sie sogar. Er zitiert metaphysische Fragestellungen der Vorsokratiker, antiker Naturphilosophen, wie Parmenides, Zenon, Heraklit von Ephesos, Leukipp, Demokrit und versucht, mit Hilfe seiner quantentheoretischen Gleichungen Antworten darauf zu geben:
„[Bojowald] reizt das Spekulative bis zum letzten aus und verlässt dabei ruhig einmal den Boden des Rationalen und schwebt in höheren Sphären – dies scheint in der Kosmologie seit einigen Jahren salonfähig zu sein wie nie zuvor.“
Sein Hang zum Phantastischen zeigt sich auch darin, dass er in sein Buch – über Abschnitte verstreut und in Kursivschrift gesetzt – eine Science-Fiction-Novelle eingearbeitet hat.[12] Sie illustriert die Big Bounce-Theorie eines oszillierenden Universums, das sich ohne Anfang und ohne Ende in einem ewigen Kreislauf zwischen Expansion und Kontraktion befindet. Sie erzählt von der Erkundungs-Sonde „Kruskal“, die in allerfernster Zukunft ins Innere eines zentralen Schwarzes Lochs vordringt und vor ihrer Zerstörung noch ein Gravitationswellen-Signal aussenden kann. Die letzte Zivilisation des sich inzwischen kontrahierenden Universums kodiert alles angesammelte Wissen, eine „kulturelle Boje“, in einem starken Gravitationswellensignal, in der Hoffnung, nach dem Vorbild der legendären Sonde Kuskal die Anfangsparameter durch den nächsten Big Bounce hindurch in das Nachfolge-Universum hinüberzuretten. Gelänge dies, so würde das Nachfolge-Universum Erinnerungen an das Vorgänger-Universum bewahren und ihm ähneln. Diese Aufgabe, die „kosmische Vergesslichkeit“[13] zu überwinden, übernimmt eine „kollektive Quantenform“ des Lebens. Sie nennt sich „Qumran“ in Anlehnung an entschlüsselte Botschaften aus dem humanen Zeitalter ihres Vorgänger-Universums, und zwar basierend auf empfindlichen Überlagerungen der „Wellenfunktion des Universums“[14] – in Erwartung ihrer ewigen Wiederkehr.[15]
Bojowald erinnert an Nietzschesmystischen, kosmologischen Gedanken[16] der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. In einem Aufsatz für Nature Physics schreibt er allerdings, dass eine ewige Wiederkehr des Gleichen wegen des quantenmechanischen Phänomens der Dekohärenz nicht möglich sei:
„An eternal recurrence of the same is prevented by intrinsic cosmic forgetfulness.“
„Eine ewige Wiederkehr des Gleichen wird durch die innewohnende kosmische Vergesslichkeit verhindert.“
– Martin Bojowald: What happened before the Big Bang ? In: Nature Physics, 3, 523–525 (2007), S. 525.[17]
Er hofft, dass in Zukunft auch experimentell gesichertes Wissen über das Universum vor dem Urknall möglich sein werde.[18]
Kritische Stimmen
So meint Hermann Nicolai, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, in einem Gespräch mit dem Spiegel[19], dass das Big-Bounce-Modell Ashtekars und seiner Kollegen zwar wesentlich näher an den Moment des Urknalls heranreiche als bisherige Versuche, so nahe, dass mit dem Auftreten von Quantengravitations-Effekten zu rechnen sei. Jedoch sei es zu simplistisch. Es bestehe aus einer drastischen Vereinfachung der Gleichungen.
Die wahre Natur des Urknalls, meint Nicolai, bleibe das große Rätsel.[20]
Christopher Schrader und D. Schöneberg: Der Urknall war nicht der Anfang. Der Physiker Martin Bojowald hat in die Zeit vor dem Urknall geblickt – mit Hilfe der Mathematik. Ein Interview, in: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010.
↑Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, S. 136, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Martrin Bojowald: Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-003910-1, S. 177-183, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-003910-1; Seiten 199, 257, 275, 277, 306 und 327. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑zum Begriff „Wellenfunktion des Universums“ siehe: James Hartle und Stephen Hawking: Wave function of the Universe. In:
Phys. Rev. D 28, 2960 – 15. Dezember 1983
↑Zurück vor den Urknall. Die ganze Geschichte des Universums. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-003910-1, S. 308