Marc Ferro wurde 1924 als Kind von Einwanderern im wohlhabenden 8. Arrondissement von Paris geboren. Sein Vater war Jacques Ferro, ein auf Korfu geborener Kaufmann griechisch-italienischer Abstammung, und seine Mutter war Oudia Fridmann, Modellzeichnerin eines großen Modehauses und ukrainisch-jüdischer Herkunft. Sein Vater starb, als er fünf Jahre alt war, sodass er die meiste Zeit bei seiner Mutter und deren zweitem Ehemann aufwuchs. Als Schüler auf dem Lycée Carnot wurde er während der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg seiner jüdischen Mutter wegen von den antisemitischen Gesetzen des Vichy-Regimes bedroht. Sein Philosophielehrer Maurice Merleau-Ponty riet ihm daher, so schnell wie möglich das besetzte Nordfrankreich zu verlassen, sodass er seine schulische Ausbildung in Grenoble im Süden Frankreichs fortsetzte. Seine Mutter wurde 1943 verhaftet, in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Ferro begann in Grenoble ein Studium in Geschichte und Geographie. 1944 schloss er sich, um der Einberufung zur Zwangsarbeit in Deutschland, dem Service du travail obligatoire, zu entgehen, einer von der Kommunistin Annie Kriegel angeführten Widerstandsgruppe an, wo er wegen seiner Deutschkenntnisse nützliche Funktionen übernehmen konnte. Nachdem diese von der Polizei aufgedeckt worden war, floh er aus der Stadt und schloss sich einer bewaffneten Gruppe des Maquis an, die in den Bergen des Vercors im Rahmen der Résistance gegen das Vichy-Regime und die deutschen Besatzer kämpfte. Auch diese Gruppe wurde im Juli 1944, nur wenige Tage nach Ferros Ankunft und wenige Monate vor Ankunft der alliierten Truppen, aufgedeckt. Ferro nahm schließlich im September 1944 an der Befreiung von Lyon teil. Ferro setzte danach sein Studium fort und wurde Geschichtslehrer. Im Juli 1948 heiratete er Yvonne France Blondel (1920–2021).
Von 1948 bis 1956 unterrichtete er am Lycée Lamoricière in Oran im damals französischen Algerien. Aufgrund des verbreiteten Rassismus unter der europäischen Bevölkerung und der brutalen Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung durch die Kolonialmacht (etwa im Rahmen des Toussaint rouge 1954) stand er dem Kolonialismus zunehmend kritisch gegenüber und gründete mit Kollegen die Fraternité algérienne, die vergeblich eine Kompromisslösung zwischen der Kolonialherrschaft und dem gewaltsamen Unabhängigkeitskrieg der FLN suchte. 1956 verließ er Algerien, um Gymnasiallehrer in Paris zu werden. Danach unterrichtete er an der renommierten École polytechnique, um schließlich directeur d'études an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) zu werden.
Als einer der ersten Historiker beschäftigte er sich in Frankreich mit dem von der Geschichtswissenschaft lange Zeit vernachlässigten Medium Film. Auslöser war 1964 seine Mitarbeit bei einem aufwändigen Filmprojekt über den Ersten Weltkrieg, La Grande Guerre / 1914–1918 / Der Erste Weltkrieg, das gemeinsam von deutschen und französischen Historikern betreut und am selben Tag in den Ländern der beiden ehemaligen Kriegsgegner im Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Zwischen 1989 und 2001 war er zunächst auf dem französischen Sender La Sept und ab 1992 auf Arte Präsentator der Fernsehsendung Histoire parallèle (deutscher Titel: Die Woche vor 50 Jahren). Zusammen mit einem (oft prominenten) Zeitzeugen oder einem Historiker als Gast analysierte er in 630 Folgen die Berichte der Wochenschau der jeweiligen Woche vor 50 Jahren.
Ferro starb im April 2021 im Alter von 96 Jahren an den Folgen von COVID-19.[3]
deutsche Übersetzung: Nikolaus II der letzte Zar. Eine Biographie. Zürich 1991.
Le choc de l’Islam. Paris 2003.
Le Cinéma, une vision de l’histoire. Paris 2003.
als Herausgeber
Le livre noir du colonialisme. Paris 2003.
Literatur
Matthias Steinle: ARTE vor seiner Zeit? Deutsch-französisches Geschichtsfernsehen im Zuge des Elysée-Vertrags: „La Grande Guerre/1914–1918/Der Erste Weltkrieg“ – eine WDR-ORTF-Koproduktion (1964). In: Rundfunk und Geschichte. Jg. 31 (2006), Nr. 2, S. 35–48.
Film
Marc Ferro – Die Geschichte seines Lebens. Regie: Michel Vuillermet. Autor: Ilios Yannakakis, Frankreich, Arte, 1999