1978 debütierte er als Opernregisseur mit der Alban-Berg-Oper Lulu an der Hamburgischen Staatsoper, damals noch in der zweiaktigen Fassung aus dem Nachlass des Komponisten. Ebendort folgte 1981 die andere Alban-Berg-Oper, der Wozzeck.[10] Bühnen- und Kostümbildner beider Produktionen waren Rolf und Marianne Glittenberg, die lange Jahre mit Bondy in Schauspiel und Musiktheater zusammenarbeiteten. Auch in der Oper reüssierte der Regisseur auf Anhieb, seine Operninszenierungen waren in den folgenden Jahrzehnten in Wien, München, New York, Brüssel und Paris, sowie bei den Festspielen von Salzburg, Aix-en-Provence und Edinburgh zu sehen.
1984 folgte seine erste Regie in Frankreich – Schnitzlers Das weite Land in Nanterre mit Michel Piccoli und Bulle Ogier als Ehepaar Hofreiter – und der große Erfolg dieser Produktion führte zu stets wiederkehrenden Einladungen nach Paris. Unter dem Titel Terre étrangère verfilmte der Regisseur Schnitzlers Werk auch im Jahr 1987, in einer österreichisch-deutsch-französisch-italienischen Koproduktion, wiederum mit Piccoli und Ogier (Ehepaar Hofreiter), sowie mit Milena Vukotic, Jutta Lampe, Wolfgang Hübsch, Dominique Blanc, Gabriel Barylli sowie Paulus Manker als Komponist Alexander Korsakow.
Schaubühne am Lehniner Platz
Nach dem Rücktritt Peter Steins von der Direktion der BerlinerSchaubühne am Lehniner Platz wurde Luc Bondy – gemeinsam mit den Dramaturgen Dieter Sturm und Christoph Leimbacher – für viele überraschend 1985 in das Leitungsgremium berufen. Er blieb dort zwar nur bis 1988 Kodirektor, inszenierte aber bis 1995 weiterhin an diesem Haus. In Berlin brachte er 1985 wieder ein Marivaux-Stück heraus, Der Triumph der Liebe, erneut eingeladen zum Berliner Theatertreffen – eine Aufführung, die auch verfilmt wurde. Die Besetzung mit Jutta Lampe, Corinna Kirchhoff, Thomas Holtzmann, Libgart Schwarz, Ernst Stötzner, Mathias Gnädinger und Paul Burian war hochkarätig. Luc Bondy inszenierte an der Schaubühne Stücke von Cami, Guitry, Handke, Molière, Ostrowskij und Shakespeares selten gespieltes Wintermärchen. Auch befasste er sich ausführlich mit dem dramatischen Œuvre von Botho Strauß: Kalldewey (1982), Die Fremdenführerin (1986), Die Zeit und das Zimmer (Uraufführung 1989) und Schlußchor (1992, ausgezeichnet als Inszenierung des Jahres durch die Kritikerumfrage von Theater heute).[11]
Auch nach seiner Zeit an der Schaubühne sollte Botho Strauß eine wichtige Achse seiner Arbeit bleiben. Beispielsweise inszenierte er 2002 am Berliner Ensemble die Uraufführung von Unerwartete Rückkehr und 2005 ebendort – mit Edith Clever und Jutta Lampe – Die eine und die andere. Am Théâtre de l’Odéon in Paris präsentierte er – ebenfalls 2005 – Schändung, eine Titus-Andronicus-Bearbeitung von Botho Strauß. Als weitere zeitgenössische Autoren, für die sich Luc Bondy engagierte, sind die Französin Yasmina Reza und der Österreicher Peter Handke zu nennen. Bondy inszenierte zwei Uraufführungen von Reza – Drei Mal Leben (Akademietheater Wien, 2000) und Une pièce espagnole (Théâtre de la Madeleine in Paris, 2004) – sowie eine von Handke – Die schönen Tage von Aranjuez (Akademietheater, 2012).
Wien, Salzburg und Brüssel
Bondy kam mit Marivaux und Mozart nach Wien. Die damalige Intendantin der Wiener Festwochen, Ursula Pasterk, sprach zwei Einladungen aus: 1985 gastierte die Berliner Schaubühne mit Marivauxs Triumph der Liebe in Wien, 1986 das Brüsseler Théâtre de la Monnaie mit Mozarts Così fan tutte. Mit diesen zwei außerordentlichen Erfolgen Bondys war die Grundlage für langjährige Zusammenarbeit in Schauspiel und Oper gelegt. 1990 folgte die Einladung der Wiener Staatsoper an Bondy – im Rahmen der Festwochen – gemeinsam mit GMD Claudio Abbado im Theater an der Wien da Pontes und Mozarts Don Giovanni zu erarbeiten.
Ab 1997 prägte Bondy siebzehn Jahre lang die Wiener Festwochen in Leitungsfunktion und führte sie – gemeinsam mit seinen Schauspieldirektorinnen Marie Zimmermann (2002–2007) und Stefanie Carp (2008–2013) – zu internationaler Anerkennung. Ab 1997 lag die künstlerische Verantwortung fünf Jahre lang bei einem Dreierdirektorium, wobei Bondy für den Schauspielbereich verantwortlich zeichnete, Klaus-Peter Kehr für Musiktheater und Hortensia Völckers für Tanz und Sonderprojekte. Die Bestellung erfolgte durch Ursula Pasterk, die nunmehr als Stadträtin für Kultur zuständig war. Von 2002 bis 2013 zeichnete Luc Bondy als Intendant allein verantwortlich.
Das Verhältnis von Luc Bondy zu Wien war stets ambivalent. Einerseits wurden seine Inszenierungen von Publikum und Presse schnell gefeiert und bejubelt, andererseits wurde er selbst wegen seiner langen Abwesenheiten von Wien zum Teil heftig kritisiert und musste eine Reihe von subtilen und weniger subtilen Demütigungen hinnehmen. Die erste erfolgte schon nach seiner ersten in Wien erarbeiteten Inszenierung im Jahr 1990. Obwohl seinem Don Giovanni von Publikum und Presse heftig applaudiert wurde, kam es nur zu den ursprünglich geplanten sechs Festwochenaufführungen. Die Inszenierung wurde weder wieder aufgenommen, noch ins Haus am Ring übernommen. Dort spielte man lieber weiterhin die konventionelle und gefällige Version Franco Zeffirellis aus dem Jahr 1972. Die wohl letzte war, dass das Burgtheater seine hochgelobte Lear-Inszenierung mit Gert Voss aus dem Jahr 2007 nur selten ansetzte, jedoch unmittelbar nach Ende von Bondys Wiener Vertrag Peter Stein und Klaus Maria Brandauer einen neuen Lear erarbeiten ließ.[12]
„Mit Wien habe ich eine Hassliebe, doch die Liebe ist größer“, sagte er zwei Jahre vor seinem Tod.[13]
New York
Luc Bondy hat nur einmal in New York inszeniert – Puccinis Tosca an der Metropolitan Opera im Jahr 2009 –, aber diese Inszenierung geriet zu einem veritablen Skandal. Im Theater und außerhalb. Das Premierenpublikum pfiff und buhte den Regisseur erbarmungslos aus, und Franco Zeffirelli attackierte seinen Kollegen massiv: „He’s not second rate. He’s third rate.“ Bondy konterte: „I’m a third-rate director, and he is a second assistant of Visconti.“ Auch versuchte er Zeffirelli „darüber aufzuklären, wem eine Oper wie Tosca gehört. Nach meinem Verständnis gehört sie Puccini, bei einem Konzertabend gehört sie dem Interpreten, jedenfalls gehört sie nicht Franco Zeffirelli allein.“[14] Hier gingen die Exponenten von Werktreue und Regietheater in direkte Konfrontation.[15]
Die New Yorker Tosca war eine Koproduktion der Met mit der Bayerischen Staatsoper in München und dem Teatro alla Scala in Mailand. Sie erwies sich seit dem Skandal des Premierenabends als äußerst robust und langlebig, steht nach wie vor am Spielplan der drei Opernhäuser und wurde auch am Todestag von Luc Bondy in New York aufgeführt.
Théâtre de l’Odéon
Im Jahr 2012 übernahm er die Leitung des Pariser Théâtre de l’Odéon und verlagerte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit nach Frankreich. Bondy hatte lange Jahre mit Krankheiten zu kämpfen. Trotzdem setzte er sich immer wieder ans Regiepult.
Seine letzte Inszenierung galt Tschechows Iwanow, die Proben mussten bei Luc Bondy zu Hause beginnen, weil er nach einer Operation rekonvaleszent war.[16] Die Premiere im Februar 2015 wurde von Publikum und Presse ebenso begeistert aufgenommen, wie viele seiner Arbeiten zuvor. Philippe Tessin, der Kritiker des Le Figaro, titelte Iwanow in seiner brutalen Wahrheit und lobte Vergänglichkeit, Melancholie und Eleganz der Aufführung.[17] Im Nachruf derselben Zeitung wird der Regisseur als Phoenix gewürdigt und seine letzte Arbeit als „Meisterwerk der Feinheit und Tiefe“.[18]
Die für Januar 2016 geplante große Neuinszenierung von Shakespeares Othello am Théâtre de l’Odéon, mit Philippe Torreton als Othello, Marina Hands als Desdemona und Micha Lescot als Iago, wurde wenige Wochen vor seinem Tod auf die nächste Spielzeit verschoben.[20] Bondy hatte sich verwehrt, die Rolle des Mohren von Venedig nach dem Kriterium der Hautfarbe zu besetzen: „Muss denn die Natur mit der Bühne zusammenfallen?“[16] Bereits im Jahr 2014 hatte er Shakespeares Text gemeinsam mit Daniel Loayza neu übersetzt.[21]
Im Sommer 2014 war er der Uraufführungsregisseur der Oper Charlotte Salomon von Marc-André Dalbavie bei den Salzburger Festspielen. Eleonore Büning pries diese Produktion in der FAZ als „ein zartes Gesamtkunstwerk“ und als „funkelnde[s] Juwel der diesjährigen Festspiele“. Die Oper war der jungen jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon gewidmet, die mit ihren Großeltern vor dem NS-Regime nach Frankreich geflüchtet war, im südfranzösischen Nizza jedoch „im September 1943, frisch verheiratet und im fünften Monat schwanger, […] denunziert, verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet“ wurde. Bondy, Dalbavie und die Librettistin Barbara Honigmann entschieden sich, die Rolle der Charlotte Salomon doppelt zu besetzen – mit der Sängerin Marianne Crebassa und mit der Schauspielerin Johanna Wokalek. In die Produktion integriert wurden sowohl Texte, als auch Gouachen der Künstlerin. Büning: „Ja, man kann ohne Übertreibung sagen: Knapp zweieinhalb Stunden lang wurde das Publikum in Bann geschlagen.“[22]
Luc Bondy starb am 28. November 2015 im Alter von 67 Jahren in Zürich.[1][23][24] Er hinterlässt seine ebenfalls am Theater arbeitende Frau Marie-Louise Bischofberger und die gemeinsamen Zwillingskinder, eine Tochter und einen Sohn.
Zitate
„Was einem von einem Kunstwerk bleibt, ist nicht eine Ideologie, sondern Poesie. Eine Aufführung muß eine Lebenserfahrung assimilieren, auf die man sich beziehen kann, auch wenn man weiß, daß es sich um Kunst handelt.“
– Luc Bondy
„In Deutschland wurde dem Meister (Peter Stein) oft seine Suche nach Harmonie und Schönheit angekreidet. Ja warum? Warum diese masochistische Sehnsucht nach Kaputtem, Häßlichem in einem Land, das sowieso noch viel Zeit braucht, um aus der Anmut der Formen etwas für die Seele zu lernen. Ich weiß, daß viele meinen, die Welt werde vom Häßlichen, Unangenehmen mit einem Spiegel geheilt. Aber ich mißtraue dieser Therapie. Ich glaube nicht einmal, daß es eine solche gibt.“
„Seine Inszenierungen verlangen von uns das Entsetzen von heute, das Erbarmen von heute, oft ein Lachen von heute. Sie hindern uns, die Not ihrer Geschöpfe mit jenen falschen Münzen abzufinden, die wir für abendliche Ausflüge zu Kunst und Kultur einzustecken pflegen.“
„„Ich hasse Inszenierungen von Leuten, die in jeder Sekunde ihre Fantasie beweisen müssen“, meinte Bondy einmal im Spiegel. Als Regisseur war er ein Verführer und Animateur seiner Darsteller. In seinen Arbeiten hat Ivan Nagel eine „Unordentlichkeit, die uns zwingt, genau hinzusehen“ entdeckt, Bondy breche Schubladen auf und schüttle „durch seine Menschensucht Dogmen ab“. Bondy interessierte der Mensch, nicht die Theorie.“
– Austria Presse Agentur: Zum Tod von Luc Bondy, hier zitiert nach Der Standard, 28. November 2015
2005: Julie von Philippe Boesmans, Libretto von Luc Bondy nach Strindbergs Fräulein Julie, Théâtre de la Monnaie und Festival d’Aix-en-Provence (Uraufführung)
1997: Das Fest des Augenblicks: Gespräche mit Georges Banu (Originaltitel: La fête de l’instant, übersetzt von Andres Müry), Residenz, Salzburg / Wien 1997, ISBN 3-7017-1064-3.
1998: Wo war ich? Einbildungen (= Meridiane, Band 14). Ammann, Zürich 1998, ISBN 3-250-60014-8
Natascha Siouzouli:[32]Wie Absenz zur Präsenz entsteht: Botho Strauß inszeniert von Luc Bondy (= Theater, Band 1), Transcript, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89942-891-9 (Dissertation FU Berlin 2006)
Geoffrey Layton (Hrsg.): In die Luft schreiben.Luc Bondy und sein Theater. Alexander Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-89581-451-8.
↑Luc Bondy: Ein Zweifler, der ja sagt – Aus der Anmut der Formen für die Seele lernen: Zum 60. Geburtstag von Peter Stein. In: Berliner Zeitung, 1. Oktober 1997, S. 13.