Lebertran (veraltet: âFabriktranâ; Oleum jecoris Aselli, Oleum morrhuae) ist ein dĂŒnnes, hell- bis braungelbes Ăl, das hauptsĂ€chlich aus der Leber von Kabeljau (Dorsch) und Schellfisch gewonnen wird. Daneben werden auch Arten wie Seehecht, Pollack, Haie oder Rochen zur Produktion verwendet. Lebertran ist nicht zu verwechseln mit dem Tran aus Walen.
FrĂŒher wurde er aus den unter Druck bis zur FĂ€ulnis lagernden Fischlebern gewonnen, der Rest wurde ausgekocht und ausgedrĂŒckt (brauner, natureller Lebertran). SpĂ€ter wurde er durch Auskochen oder mittels Wasserdampf (Dampftran, Medizinaltran, heller Lebertran) und nachfolgender AbkĂŒhlung unter Null Grad sowie Filtrierung gewonnen. Aus den Resten kann durch Auspressen âPresstranâ gewonnen werden. Auch gibt es elektrolytische Verfahren zur Ălgewinnung.[1][2]
Die Wirksamkeit von Lebertran gegen Rachitis wurde 1824 von deutschen Wissenschaftlern entdeckt, etwa zwei Jahre nachdem bekannt geworden war, dass Sonnenlicht, in Form der damals populĂ€ren Sonnenkuren, ebenfalls zur VerhĂŒtung bzw. Behandlung dieser Krankheit eingesetzt werden kann. Erst 1922 konnte das Vitamin D3 als der antirachitische Bestandteil bestimmt werden. Die Chemiker Hans Brockmann und Adolf Windaus u. a. konnten dann 1935 aus Fischleberölen einen Wirkstoff isolieren: 7-Dehydrocholesterin, das Provitamin von Vitamin D3.[12][13][14][15]
In den 1950er Jahren bot das Berliner Unternehmen Heyl & Co. Vit-Orange, ein wohlschmeckendes KrĂ€ftigungsmittel mit den Vitaminen des Lebertranes und Malzextraktes an. Dieselbe chemisch-pharmazeutische Fabrik stellte auch eine Lebertran-Wund- und Heilsalbe nach Prof. Dr. W. Löhr namens Unguentolan zur VerfĂŒgung.[16]
Auch wurde Lebertran als Lampenöl und ImprÀgnierungsmittel verwendet.[17]
Anwendung
Lebertran wird als StĂ€rkungsmittel besonders bei Kinderkrankheiten und UnterernĂ€hrung sowie zur VerhĂŒtung von Rachitis (auch: Englische Krankheit) oral eingenommen. Kindern in Deutschland wurde bis in die 1960er Jahre zur Vorbeugung und KrĂ€ftigung nicht selten tĂ€glich ein Löffel voll verabreicht. Der Geschmack gilt als penetrant. Ăl aus Dorschleber-Konserven stellt dagegen ein (Speise-)Ăl mit nur dezenter Fischnote dar. Das Dorschlebertran enthaltende PrĂ€parat Ossin wurde von der chemischen Fabrik J. E. Stroschein (Bad Ems) als wohlschmeckend und zur Vorbeugung bei Rachitis und anderen Avitaminosen und als Aufbau-, NĂ€hr- und KrĂ€ftigungsmittel[18] beworben.
Bei zu hohen Verzehrmengen kann Vitamin A zu Hypervitaminose fĂŒhren.
Trivia: Geschmack
Zahllos sind die Schilderungen des widerlichen Geschmacks von Lebertran aus Kindheiten in der 1. HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. Beispielhaft die seinerzeit verbreitete Parodie einer Strophe aus Schillers Lied von der Glocke:
âGefĂ€hrlich istâs, den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn.
Jedoch der schrecklichste der Schrecken; â
das ist dem Kind der Lebertran.â[19]
Nicholas Eschenbruch (Hrsg.): Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. Historische Skizzen von Lebertran bis Contergan. Transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1125-0 (= Science studies).
G. Frerichs, G. Arends, H. Zörnig: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band. 2. Auflage. Springer, 1938, S. 296, 298 f. (Reprint: ISBN 978-3-662-35502-2).
Einzelnachweise
âJ. König: Chemie der Nahrungs- und GenuĂmittel sowie der GebrauchsgegenstĂ€nde. 2. Band. 5. Auflage. Springer, 1920, S. 328 (Reprint: ISBN 978-3-642-49527-4).
âHellmut Gnamm, K. Grafe, L. Jablonski u. a.: Handbuch der Gerbereichemie und Lederfabrikation. 3. Band: Das Leder, 1. Teil. Springer, 1936, S. 347 ff. (Reprint: ISBN 978-3-7091-2211-2).
âGeorg Lambertsen und Olaf R. BrĂŠkkan: The Fatty Acid Composition of Cod Liver Oil. FiskeridirektĂžren, 1965, online (PDF; 246 kB).
âLeo M. L. Nollet: Food Analysis by HPLC. Second Edition, Marcel Dekker, 2000, ISBN 0-8247-8460-X, S. 185.
âHagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 1938.
âS. F. Oâ Keefe und R. G. Ackman: Vitamins A, D3 and E in Nova Scotian Cod Liver oils. In: Proc. N.S. Inst. Sci. Volume 37, 1986, S. 1â7, online (PDF; 5,43 MB).
âFereidoon Shahidi: Nutraceutical and Specialty Lipids and their Co-Products. CRC Press, 2006, ISBN 1-57444-499-9, S. 231.
âDavid Feldman, J. Wesley Pike, John S. Adams: Vitamin D. Third Edition. Vol. 1. Academic Press, 2011, ISBN 978-0-12-387035-3, S. 88.
âEnsminger, Ensminger, Konlande, Robson: Foods & Nutrition Encyclopedia. Vol. 1: AâH, 2nd Edition, CRC Press, 1994, ISBN 0-8493-8981-X, S. 441.
âGlenn Sonnendecker: Kremers and Urdang's History of Pharmacy. 4. Auflage. 1976, American Institute of the History of Pharmacy, 1986, ISBN 0-931292-17-4, S. 504, 1. Spalte (Reprint).
âLee R. McDowell: Vitamin History, the Early Years. Univ. of Florida, 2013, ISBN 978-1-62287-266-4.
âJ. H. White, L. R. Tavera-Mendoza: Das unterschĂ€tzte Sonnenvitamin. In: Spektrum der Wissenschaft, Band 7, 2008, S. 40.
âRonald Ross Watson: Handbook of Vitamin D in human health. Wageningen Academic, 2013, ISBN 978-90-8686-210-8, S. 14, 398.
âP. H. List, L. Hörhammer: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band: Wirkstoffgruppen II: Chremikalien und Drogen, AâAL. 4. Auflage. Springer, 1969, ISBN 0-387-04511-2, S. 644.
âFriedrich Klages: EinfĂŒhrung in die organische Chemie. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1961, S. 522.
âArzneimittel Heyl. In: MĂŒnchener Medizinische Wochenschrift. Band 95, Nr. 1, 2. Januar 1953, S. LXVI.
âDietrich Sahrhage, Johannes Lundbeck: A History of Fishing. Springer, 1992, ISBN 3-642-77413-X, S. 89.
âOssin â Eierlebertran â Emulsion. In: MĂŒnchener Medizinische Wochenschrift. Band 95, Nr. 1, 2. Januar 1953, S. XXXIV.
âKinderreime. In: Volksliederarchiv. Abgerufen am 12. Juli 2023.
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