Lebertran

Norwegischer Lebertran
Lebertran in Gelatinekapseln
Viehlebertran und Fischtran im Verkaufssortiment. Holzwerbetafel. Kleinbauernmuseum Dresden.

Lebertran (veraltet: „Fabriktran“; Oleum jecoris Aselli, Oleum morrhuae) ist ein dĂŒnnes, hell- bis braungelbes Öl, das hauptsĂ€chlich aus der Leber von Kabeljau (Dorsch) und Schellfisch gewonnen wird. Daneben werden auch Arten wie Seehecht, Pollack, Haie oder Rochen zur Produktion verwendet. Lebertran ist nicht zu verwechseln mit dem Tran aus Walen.

FrĂŒher wurde er aus den unter Druck bis zur FĂ€ulnis lagernden Fischlebern gewonnen, der Rest wurde ausgekocht und ausgedrĂŒckt (brauner, natureller Lebertran). SpĂ€ter wurde er durch Auskochen oder mittels Wasserdampf (Dampftran, Medizinaltran, heller Lebertran) und nachfolgender AbkĂŒhlung unter Null Grad sowie Filtrierung gewonnen. Aus den Resten kann durch Auspressen „Presstran“ gewonnen werden. Auch gibt es elektrolytische Verfahren zur Ölgewinnung.[1][2]

Er besteht aus leicht verdaulichem Fett, welches aus verschiedenen FettsĂ€uren zusammengesetzt ist, 25 % C18:1 (ÖlsĂ€ure, VaccensĂ€ure) und 11 % PalmitinsĂ€ure, 9 % PalmitoleinsĂ€ure, ungefĂ€hr 11 % C20:1 (GadoleinsĂ€ure, GondosĂ€ure) sowie auch Omega-3-FettsĂ€uren 11 % C20:5 EicosapentaensĂ€ure (EPA), 9 % C22:6 DocosahexaensĂ€ure (DHA) und 1,5 % 22:5 DocosapentaensĂ€ure, weiter 5,5 % C22:1 (ErucasĂ€ure, CetoleinsĂ€ure) sowie 3,5 % MyristinsĂ€ure.[3][4] Lebertran enthĂ€lt auch Jod, Phosphor, α–Tocopherol 300 ÎŒg/g und verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig hohe Mengen an Vitamin A 2500 IU/g und D 40 IU/g sowie 5,7 g/kg Cholesterin.[5][6][7]

Bei PrĂ€paraten mit gereinigtem und desodoriertem Lebertran werden kĂŒnstliche Vitamine nachtrĂ€glich zugegeben.[8]

Geschichte

Werbung fĂŒr gesĂŒĂŸten „Eierlebertran“ (1906)

Lebertran wurde schon von den Wikingern, Norwegern, Inuit, LapplĂ€ndern und GrönlĂ€ndern als StĂ€rkungsmittel verwendet. SpĂ€ter im 18. Jahrhundert wurde er dann zur Behandlung von Nachtblindheit, Rheumatismus und Rachitis empfohlen.[9][10][11]

Die Wirksamkeit von Lebertran gegen Rachitis wurde 1824 von deutschen Wissenschaftlern entdeckt, etwa zwei Jahre nachdem bekannt geworden war, dass Sonnenlicht, in Form der damals populĂ€ren Sonnenkuren, ebenfalls zur VerhĂŒtung bzw. Behandlung dieser Krankheit eingesetzt werden kann. Erst 1922 konnte das Vitamin D3 als der antirachitische Bestandteil bestimmt werden. Die Chemiker Hans Brockmann und Adolf Windaus u. a. konnten dann 1935 aus Fischleberölen einen Wirkstoff isolieren: 7-Dehydrocholesterin, das Provitamin von Vitamin D3.[12][13][14][15]

In den 1950er Jahren bot das Berliner Unternehmen Heyl & Co. Vit-Orange, ein wohlschmeckendes KrĂ€ftigungsmittel mit den Vitaminen des Lebertranes und Malzextraktes an. Dieselbe chemisch-pharmazeutische Fabrik stellte auch eine Lebertran-Wund- und Heilsalbe nach Prof. Dr. W. Löhr namens Unguentolan zur VerfĂŒgung.[16]

Auch wurde Lebertran als Lampenöl und ImprÀgnierungsmittel verwendet.[17]

Anwendung

Lebertran wird als StĂ€rkungsmittel besonders bei Kinderkrankheiten und UnterernĂ€hrung sowie zur VerhĂŒtung von Rachitis (auch: Englische Krankheit) oral eingenommen. Kindern in Deutschland wurde bis in die 1960er Jahre zur Vorbeugung und KrĂ€ftigung nicht selten tĂ€glich ein Löffel voll verabreicht. Der Geschmack gilt als penetrant. Öl aus Dorschleber-Konserven stellt dagegen ein (Speise-)Öl mit nur dezenter Fischnote dar. Das Dorschlebertran enthaltende PrĂ€parat Ossin wurde von der chemischen Fabrik J. E. Stroschein (Bad Ems) als wohlschmeckend und zur Vorbeugung bei Rachitis und anderen Avitaminosen und als Aufbau-, NĂ€hr- und KrĂ€ftigungsmittel[18] beworben.

Bei zu hohen Verzehrmengen kann Vitamin A zu Hypervitaminose fĂŒhren.

Trivia: Geschmack

Zahllos sind die Schilderungen des widerlichen Geschmacks von Lebertran aus Kindheiten in der 1. HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts. Beispielhaft die seinerzeit verbreitete Parodie einer Strophe aus Schillers Lied von der Glocke:

„GefĂ€hrlich ist’s, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn. Jedoch der schrecklichste der Schrecken; â€“ das ist dem Kind der Lebertran.“[19]

Wiktionary: Lebertran â€“ BedeutungserklĂ€rungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Lebertran â€“ Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Nicholas Eschenbruch (Hrsg.): Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. Historische Skizzen von Lebertran bis Contergan. Transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1125-0 (= Science studies).
  • G. Frerichs, G. Arends, H. Zörnig: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band. 2. Auflage. Springer, 1938, S. 296, 298 f. (Reprint: ISBN 978-3-662-35502-2).

Einzelnachweise

  1. ↑ J. König: Chemie der Nahrungs- und Genußmittel sowie der GebrauchsgegenstĂ€nde. 2. Band. 5. Auflage. Springer, 1920, S. 328 (Reprint: ISBN 978-3-642-49527-4).
  2. ↑ Hellmut Gnamm, K. Grafe, L. Jablonski u. a.: Handbuch der Gerbereichemie und Lederfabrikation. 3. Band: Das Leder, 1. Teil. Springer, 1936, S. 347 ff. (Reprint: ISBN 978-3-7091-2211-2).
  3. ↑ Georg Lambertsen und Olaf R. Brékkan: The Fatty Acid Composition of Cod Liver Oil. Fiskeridirektþren, 1965, online (PDF; 246 kB).
  4. ↑ Leo M. L. Nollet: Food Analysis by HPLC. Second Edition, Marcel Dekker, 2000, ISBN 0-8247-8460-X, S. 185.
  5. ↑ Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 1938.
  6. ↑ S. F. O’ Keefe und R. G. Ackman: Vitamins A, D3 and E in Nova Scotian Cod Liver oils. In: Proc. N.S. Inst. Sci. Volume 37, 1986, S. 1–7, online (PDF; 5,43 MB).
  7. ↑ Fereidoon Shahidi: Nutraceutical and Specialty Lipids and their Co-Products. CRC Press, 2006, ISBN 1-57444-499-9, S. 231.
  8. ↑ David Feldman, J. Wesley Pike, John S. Adams: Vitamin D. Third Edition. Vol. 1. Academic Press, 2011, ISBN 978-0-12-387035-3, S. 88.
  9. ↑ Ensminger, Ensminger, Konlande, Robson: Foods & Nutrition Encyclopedia. Vol. 1: A–H, 2nd Edition, CRC Press, 1994, ISBN 0-8493-8981-X, S. 441.
  10. ↑ Glenn Sonnendecker: Kremers and Urdang's History of Pharmacy. 4. Auflage. 1976, American Institute of the History of Pharmacy, 1986, ISBN 0-931292-17-4, S. 504, 1. Spalte (Reprint).
  11. ↑ Lee R. McDowell: Vitamin History, the Early Years. Univ. of Florida, 2013, ISBN 978-1-62287-266-4.
  12. ↑ J. H. White, L. R. Tavera-Mendoza: Das unterschĂ€tzte Sonnenvitamin. In: Spektrum der Wissenschaft, Band 7, 2008, S. 40.
  13. ↑ Ronald Ross Watson: Handbook of Vitamin D in human health. Wageningen Academic, 2013, ISBN 978-90-8686-210-8, S. 14, 398.
  14. ↑ P. H. List, L. Hörhammer: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 2. Band: Wirkstoffgruppen II: Chremikalien und Drogen, A–AL. 4. Auflage. Springer, 1969, ISBN 0-387-04511-2, S. 644.
  15. ↑ Friedrich Klages: EinfĂŒhrung in die organische Chemie. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1961, S. 522.
  16. ↑ Arzneimittel Heyl. In: MĂŒnchener Medizinische Wochenschrift. Band 95, Nr. 1, 2. Januar 1953, S. LXVI.
  17. ↑ Dietrich Sahrhage, Johannes Lundbeck: A History of Fishing. Springer, 1992, ISBN 3-642-77413-X, S. 89.
  18. ↑ Ossin – Eierlebertran – Emulsion. In: MĂŒnchener Medizinische Wochenschrift. Band 95, Nr. 1, 2. Januar 1953, S. XXXIV.
  19. ↑ Kinderreime. In: Volksliederarchiv. Abgerufen am 12. Juli 2023.

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