Die Langfühlerschrecken (Ensifera) sind eine der beiden Unterordnungen der Heuschrecken. Von den bekannten 8100 Arten leben in Europa etwa 690 Arten (davon 64 im deutschsprachigen Raum[1][2] und 40 in Deutschland).[3][4] Die kleinsten Vertreter mit einer Körperlänge von 1,5 Millimeter findet man unter den Ameisengrillen (Myrmecophilidae), die größten innerhalb der Sägeschrecken (Saga), die bis 100 Millimeter lang werden können. Die größte Flügelspannweite findet sich bei Pseudophylus collossus mit maximal 200 Millimetern. Viele Arten der Langfühlerschrecken leben räuberisch, andere sind phytophag oder nehmen beide Nahrungsformen auf.
Kennzeichnende Merkmale der Langfühlerschrecken, die sie von den Arten der Unterordnung Kurzfühlerschrecken unterscheiden, sind die namengebenden langen Antennen, die häufig die Körperlänge überspannen und aus mehr als 500 Einzelgliedern bestehen können. Nur bei wenigen Arten (z. B. Aganacris nitida) sind die Antennen relativ kurz. Die Tiere besitzen kleine Facettenaugen und kauend-beißende Mundwerkzeuge. Besonders das erste Brustsegment ist kräftig entwickelt. Die Vorderflügel sind schmal und verhärtet und bedecken die größeren Hinterflügel in der Ruhestellung. Die Weibchen tragen häufig ein langes Legerohr oder einen „Legesäbel“ (Ovipositor) am Hinterende, mit dem sie die Eier ablegen. Dieser besteht aus drei Paar Anhängen des achten und neunten Hinterleibssegmentes, den Gonapophysen.
Lauterzeugung bei den Langfühlerschrecken
An der Basis der Vorderflügel besitzen vor allem die Männchen der Langfühlerschrecken ein so genanntes Stridulationsorgan, mit dem sie Laute erzeugen. Als Schrillader wirkt dabei eine verdickte Flügelader, die mit vielen Querrippen versehen ist: der Cubitus posterior; als Resonanzfläche die vor dem Cubitus anterior liegende Flügelfläche. Die Ausbildung dieser Organe ist auf beiden Vorderflügeln erkennbar asymmetrisch (außer bei Grillen). Beim Singen werden die übereinandergelegten Vorderflügel gegeneinander bewegt, wobei bei Laubheuschrecken die Schrillleiste des linken Vorderflügels, bei Grillen die des rechten Vorderflügels über die Schrillkante des jeweils anderen Flügels gezogen wird.
Die Gehörorgane der Langfühlerschrecken finden sich bei vielen Arten in den Unterschenkeln (Tibien) der Vorderbeine. Sie können offen oder verdeckt in Gruben liegen. Dieses „Ohr“ ist mit zwei Trommelfellen ausgestattet. Durch unterschiedliche Ausrichtung ihrer Vorderbeine können diese Schrecken andere Sänger, insbesondere Artgenossen, genau orten.
Der Gesang der Männchen dient vor allem der Anlockung der Weibchen, er kann jedoch auch zur Festsetzung von Reviergrenzen eingesetzt werden. Zwischen Feldgrillen-Männchen kann es zu heftigen, manchmal tödlich endenden Kämpfen kommen. Dabei sind die Gesänge artspezifisch verschieden und angeboren, ebenso die Erkennung der Gesänge der eigenen Art. Bei vielen Arten kommt es zu einer gegenseitigen Anregung zum Singen, manche Arten verfolgen auch einen genau festgelegten Wechselgesang: sie duettieren. Die Neigung zum Gesang ist abhängig von den Außenfaktoren: der Warzenbeißer singt etwa nur tagsüber bei starker Sonne, das Grüne Heupferd auch nachts.
Reaktion auf Fledermäuse
Ultraschall-Ortungslaute ihres Fressfeindes Fledermaus können bei großer Annäherung bis 130 dB Lautstärke erreichen. 2020 ergaben Forschungen der Universität Graz – im Labor und im tropischen Regenwald von Panama –, dass Grillen (Schwertschwanz-Grillen, Trigoniinae) auf Ultraschall ab 80 dB mit Unterbrechung ihrer Flügelbewegung reagieren, sie fallen danach ein Stück nach unten und können damit Fledermäusen entkommen.[5][6]
Mehrjährige Forschungen in Bulgarien in der Fledermausforschungsstation der Stadt Tabachka[7] zwischen Mausohr-Fledermäusen und Schiefkopf-Heuschrecken haben gezeigt, dass diese Heuschreckengruppe bei Annäherung von Fledermäusen ihren Gesang nicht unterbricht. Stattdessen versammeln sich zahlreiche Tiere in kleinen Gruppen mit einem Abstand von 20 bis 30 cm und verstärken ihren Gesang noch. Sie erzeugen damit einen Schallteppich, der auf die Fledermäuse wie ein Nebel wirkt, der ihre Ortungslaute verschwimmen lässt. Diese Heuschreckenart wird deshalb nie von Fledermäusen gefressen.[8]
Fortpflanzung und Entwicklung
Die Partnerfindung der meisten Arten der Langfühlerschrecken erfolgt durch den Gesang. Vor der Kopulation kommt es dabei häufig zu Balzspielen mit einem leicht abgewandelten, leiseren Gesang der Partner. Zur Begattung steigen die Weibchen der Laubheuschrecken auf die Männchen, bei den Grillen schiebt sich das stimulierte Weibchen rückwärts, von vorn kommend, unter den Körper des Männchens. Das Männchen klebt eine große Spermatophore an die Geschlechtsöffnung des Weibchens. Die Spermatophore kann bis zu 30 % des Gewichts des Männchens ausmachen. Sie ist so umfangreich, weil zusätzlich zur eigentlichen Spermatophore nach außen hin ein gallertiger „Samenwächter“ (Spermatophylax) dem Weibchen übertragen wird. Nach der Paarung beginnt das Weibchen, die für die spätere Ausbildung der Eier offenbar nahrhafte Gallerte der Spermatophore zu verzehren, wobei die Spermien in die Samenbehälter (Receptaculum seminis) der Weibchen gepresst werden.
Die Eiablage erfolgt mit Hilfe des Ovipositors in den Boden oder in pflanzliches Substrat, und meistens werden die Eier einzeln abgelegt. Die Maulwurfsgrillen und einige andere Arten legen die Eier als Gelege ab, das sie während der weiteren Entwicklung durch Belecken pflegen und so beispielsweise gegen Pilzbefall schützen.
Die Larvenzeit ist unterschiedlich lang und beinhaltet fünf bis sieben Häutungen, bei den Vertretern der Gattung Gryllus auch mehr. Die Überwinterung erfolgt meist als Ei oder Larve.
Systematik der Langfühlerschrecken
In der Gruppe der Langfühlerschrecken wird in eine Reihe von Teilgruppen (meist als Überfamilien bezeichnet) unterschieden, die sich teilweise äußerlich unterscheiden. Die endgültige Unterscheidung findet über die Ausbildung der Schrilladern statt. Drei dieser Teilgruppen sind für Mitteleuropa relevant.
Laubheuschrecken – Tettigonioidea
Die Laubheuschrecken besitzen nur am linken Vorderflügel eine Schrillader. Zumindest bei den mitteleuropäischen Arten ist der Fuß (Tarsus) vierteilig, wobei das dritte Glied herzförmig verbreitert ist.
Folgende Arten der Laubheuschrecken kommen in Mitteleuropa vor (die Einteilung nach Familien und Unterfamilien entspricht der Systematik von orthoptera.speciesfile.org, ist aber in der Literatur uneinheitlich):
Bei den Grillen sind beide Vorderflügel mit einer Schrillleiste ausgestattet. Bei der Lauterzeugung liegt aber – schräg aufwärts gerichtet – stets der rechte Flügel zuoberst (Bei zirpenden Laubheuschrecken-Männchen umgekehrt der linke!); seine Schrillader streicht über die Schrillkante der darunter liegenden linken Elytre. Der Fuß der Grillen ist immer nur dreiteilig. Ebenfalls auffällig sind die Hinterflügel, deren Enden in Ruhelage wie Spieße unter den Vorderflügeln herausschauen.
Folgende Arten der Grillen kommen in Mitteleuropa vor:
Die letzte Gruppe der Langfühlerschrecken sind die Rhaphidophoroidea. Alle Arten sind hier in beiden Geschlechtern flügellos. Die bekannteste Art dieser Gruppe ist die vermutlich aus China stammende Gewächshausschrecke (Diestrammena asynamora) aus der Familie der Höhlenschrecken (Rhaphidophoridae). Sie ist weltweit in Gewächshäuser eingeschleppt worden und lebt dort räuberisch oder phytophag. Seit den 90er Jahren sind außerdem einige wenige isolierte Vorkommen der Bedornten Höhlenschrecke (Troglophilus neglectus) aus Bayern und Sachsen in natürlichen Höhlen des Sandsteinkarstes der Sächsischen Schweiz (KLUFTHÖHLE, Sächs. Höhlenkataster Nr. KÖ-04 und TEUFELSHÖHLE Sächs. Höhlenkataster Nr. KÖ-05) und in künstlichen Hohlräumen (wie z. B. in Kasematten der Festung Königstein) bekannt. Eine weitere Art ist die in Österreich und der Schweiz hauptsächlich in Höhlen, aber auch unter Laub und Steinen vorkommende Kollars Höhlenschrecke (Troglophilus cavicola). Im Mittelmeerraum finden sich außerdem noch ca. 20 Arten der Gattung Dolichopoda (siehe auch Höhlentiere).
Literatur
Bertrand & Hannes Baur, Christian & Daniel Roesti: Die Heuschrecken der Schweiz, Haupt Verlag, Bern 2006, ISBN 3-258-07053-9.
↑Heiner Römer, Marc Holderied: Decision making in the face of a deadly predator: high-amplitude behavioural thresholds can be adaptive for rainforest crickets under high background noise levels. In: Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences. Band375, Nr.1802, 6. Juli 2020, S.20190471, doi:10.1098/rstb.2019.0471, PMID 32420855, PMC 7331017 (freier Volltext) – (royalsocietypublishing.org [abgerufen am 29. April 2021]).