Konrad Morgen wuchs als Kind eines Lokomotivführers in Frankfurt am Main auf und besuchte dort eine Oberrealschule. Er arbeitete nach der Reifeprüfung zunächst in einem Bankhaus. Danach studierte er Jura in Frankfurt, Rom, Berlin, Den Haag und Kiel. Während seines Studiums trat er der Hochschulgruppe der Deutschen Volkspartei (DVP) bei. Zum 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 2.536.236)[1][2], seinen ähnlich späten Eintritt in die SS (SS-Nummer 124.940)[2] erklärte er mit seinem Anstandsgefühl, das ihm verbot, sofort nach seinem Austritt aus der DVP überzulaufen.[3] Er wurde 1936 in Frankfurt mit der DissertationKriegspropaganda und Kriegsverhütung zum Dr. jur.promoviert.
Am 1. April 1939 übernahm Konrad Morgen am Landgericht Stettin seine erste Stelle als Richter. Da Morgen einen Lehrer freigesprochen hatte, der für die körperliche Züchtigung eines Schülers verantwortlich war, wurde er aus dem Justizdienst entlassen.[4] Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges diente er bei der Waffen-SS im besetzten Posen, bis er 1940 als Richter am Hauptamt SS-Gericht in München eingesetzt wurde. Ab 1. Januar 1941 war Morgen am SS- und Polizeigericht in Krakau im Generalgouvernement tätig. Sein erster großer Prozess war gegen Georg von Sauberzweig, den Chef des Truppenwirtschaftslagers der Waffen-SS in Warschau. Sauberzweig hatte konfiszierte Waren auf dem Schwarzmarkt verkauft. Sauberzweig und einige Mitangeklagte wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.[5] Die Verhaftung von Oskar Dirlewanger hingegen scheiterte, da dieser unter dem Schutz Gottlob Bergers stand.
Ab Mai 1943 wurde er von Himmler persönlich am Reichskriminalpolizeiamt in Berlin mit der Untersuchung von Korruptionsfällen in Konzentrationslagern beauftragt.[8] Er kam deshalb mit Christian Wirth in Kontakt, war unmittelbar mit der Vernichtungspolitik des SS-Staates vertraut und wurde, so eine Selbsteinschätzung, ein „Spezialist für Konzentrationslager-Verbrechen“. Dabei verstand er unter „Konzentrationslager-Verbrechen“ vorwiegend die Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit dem konfiszierten Eigentum der KZ-Häftlinge und nicht etwa die institutionalisierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit (welches als Tatbestand erst 1945 nach Kriegsende entstand). Allerdings ermittelte er auch bei einzelnen Tötungen, die Täter eigenmächtig verübt hatten. Ab Herbst 1944 war er SS-Chefrichter in Krakau und damit zuständig für das KZ Auschwitz. Im letzten Kriegsjahr war er SS-Richter in Breslau.
In einem anderen Fall hatte ein Wachmann des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau mehr als ein Kilo umgeschmolzenes Zahngold mit einem Feldpostpaket an seine Frau schicken wollen. Das Gold war vom deutschen Zoll abgefangen worden.[10] Im Zuge der daraus folgenden Ermittlungen suchte Konrad Morgen in seiner Funktion als SS-Richter auch das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf und ließ sich den Ablauf der Vernichtungsmaschinerie genau erklären. Dabei machte er nach späteren Angaben die Entdeckung, dass sich das Lagerpersonal gewerbsmäßig am Beutegut der Ermordeten bereicherte.
Morgen untersuchte in der Folge noch weitere Verbrechen in Konzentrationslagern, unter anderem auch im KZ Dachau, KZ Flossenbürg und KZ Lublin. Insgesamt wurden nach seiner eigenen Darstellung 800 Verfahren in Gang gesetzt, davon konnten 200 abgeschlossen werden.
Als Morgens Untersuchungen immer weiter um sich griffen und er auch gegen den Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz ermittelte, musste er auf Befehl Himmlers im April 1944 seine Tätigkeit auf den Fall Koch beschränken und sonstige Untersuchungen einstellen.
Dennoch gelang es ihm, eine Reihe bekannter KZ-Kommandanten anzuklagen und teilweise zu verurteilen:
Hermann Florstedt, Kommandant von Majdanek, wegen Korruption zum Tode verurteilt, Hinrichtung unsicher
Hans Loritz, Kommandant von Sachsenhausen, Ermittlungen wegen des Tatverdachtes unerlaubter Tötungen
Adam Grünewald, Kommandant von Herzogenbusch, wegen Misshandlungen von Häftlingen verurteilt und strafversetzt
Karl Künstler, Kommandant von Flossenbürg, wegen Trunkenheit und ausschweifenden Lebenswandels abgesetzt
Alex Piorkowski, Kommandant von Dachau, wegen Mordes angeklagt, aber nicht verurteilt
Morgen stellte sich beim CIC und wurde für knapp drei Jahre im Internierungslager Dachau inhaftiert. Er wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Entlastungszeuge der Verteidigung vernommen, welche die angeklagte SS-Organisation vertrat. In seiner Vernehmung schilderte er das Konzentrationslager Buchenwald als idyllischen Ort. Bei der Frage, ob es sich bei der SS um eine verbrecherische Organisation gehandelt habe, behauptete er, der Befehl für den Aufbau der Vernichtungslager Sobibor, Treblinka und Belzec sei nicht von Heinrich Himmler, sondern von Hitler selbst ergangen.[11] Für den Nürnberger Ärzteprozess verfasste Morgen eidesstattliche Erklärungen für die Verteidigung von Joachim Mrugowsky und Karl Brandt.[12] Morgen war im August 1947 auch Zeuge der Verteidigung im Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS(USA vs. Oswald Pohl et al.).[13] Kurz zuvor hatte er bereits im Juni 1947 als Zeuge der Verteidigung im Buchenwald-Hauptprozess ausgesagt, der im Rahmen der Dachauer Prozesse stattfand.
Eine Spruchkammer des Internierungslagers Ludwigsburg stufte Morgen 1948 als „Entlasteten“ ein. Er habe sich nicht der Rechtsbeugung oder Rechtsunterdrückung schuldig gemacht, sondern gegen die höchsten SS-Führer angekämpft und somit Widerstand geleistet. Er sei strafversetzt worden und habe sogar um sein Leben fürchten müssen.[14]
Eugen Kogon bezichtigte Morgen, bei der Verfolgung von Korruptionsfällen mörderische Ermittlungsmethoden angewendet zu haben.[15] Aufgrund einer Zeugenaussage Kogons stellte Raul Hilberg als Sachverhalt dar, dass ein wichtiger Belastungszeuge im Fall Karl Koch unvermutet verstarb. Konrad Morgen habe an einen Giftmord geglaubt und Reste des Mageninhalts an vier sowjetische Kriegsgefangene verabreichen lassen, die daraufhin verstorben seien.[16] Vor einer anderen Spruchkammer relativierte Kogon seine belastende Aussage jedoch 1950 erheblich; ein Verfahren wegen der Tötung der russischen Kriegsgefangenen wurde am 6. März 1961 endgültig eingestellt.[17] Ein weiteres Verfahren wegen Beteiligung an der Vernichtung ungarischer Juden wurde 1972 eingestellt.
Seine eigene Rolle als SS-Mitglied verharmloste Morgen später als Zeuge im 1. Frankfurter Auschwitzprozess. Seine dortige Aussage offenbart seine Wertungen, seine moralischen Maßstäbe und tradierte NS-Mentalität. Hinsichtlich seines Einsatzes in der SS-Einheit an der Ostfront hob er insbesondere die kameradschaftliche Treue hervor, die dort vorherrschte, bis in den Tod. Es habe sich bei ihnen um „junge Idealisten“ gehandelt, deren Ziel es gewesen sei, „die europäische Kultur zu verteidigen gegen den anbrandenden Bolschewismus“.[18] Selbst eine Anklage Hitlers habe er durchdacht, schilderte er in seiner Aussage, die aber aufgrund des Führerprinzips und der daraus resultierenden Machtfülle Hitlers natürlich ausgeschlossen war.[19]
Morgen war nach dem Krieg als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main tätig und bis zum 19. Januar 1979 bei der dortigen Rechtsanwaltskammer registriert. Sein Nachlass wird im Archiv des Fritz Bauer Instituts[20] in Frankfurt am Main aufbewahrt.
Spielfilm Paradies, Russland/Deutschland, Erscheinungsdatum: 27. Juli 2017 (Deutschland), Regisseur Andrei Sergejewitsch Michalkow-Kontschalowski. Der deutsche Schauspieler Christian Clauß spielte eine Hauptrolle, nämlich den deutschen SS-Standartenführer Helmut von Axenberg, den Prototyp von Konrad Morgen.
Quellen und Literatur
IMT: Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Nachdruck München 1984, ISBN 3-7735-2510-9, Bd. XX, S. 531–563 (7. und 8. August 1946) im Internet zeno-org
Der Auschwitz-Prozeß. Hrsg. vom Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. DVD-ROM. Berlin 2004, ISBN 3-89853-501-0, S. 5556–5696.
Raphael Gross: Die Ethik des wahrheitssuchenden Richters. In: Werner Konitzer, Raphael Gross (Hrsg.): Moralität des Bösen – Ethik und nationalsozialistische Verbrechen. Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts. Frankfurt am Main/New York 2009, ISBN 978-3-593-39021-5, S. 243–264.
Der Orden unter dem Totenkopf. In: Der Spiegel. Nr.1, 1967 (online – Weiterführende Informationen zur Judenvernichtung in Polen und zur Rolle des Konrad Morgen).
Ernst Klee: Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-10-039333-3.
Miloš Vec: Der SS-Richter, der Eichmann anklagen wollte. Rezension zu »Weil ich nun mal Gerechtigkeitsfanatiker bin«. In: Neue Zürcher Zeitung, 15. September 2017, S. 39 (online).
↑ abErnst Klee: Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Personenlexikon. Frankfurt/M. 2013, S. 284f.
↑Raphael Gross: Die Ethik des wahrheitssuchenden Richters. S. 245 In: Werner Konitzer, Raphael Gross (Hrsg.): Moralität des Bösen – Ethik und nationalsozialistische Verbrechen. Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts. Frankfurt am Main/New York 2009, ISBN 978-3-593-39021-5.
↑Verhöre durch das American Counterintelligence Corps, U.S. National Archives, Record Group 238, Microfilm 1019, Roll 47, Verhör vom 30. August 1946, S. 2–3.
↑IMT (International Military Tribunal), 20: 492; „Anklageschrift gegen SS-Staf. Koch und Dr. Hoven: Wesentliches Ermittlungsergebnis“, 11. April 1944, Nürnberg, Dokument NO-2366, S. 46f.
↑25. Verhandlungstag 9.3.1964. In: Der Auschwitz-Prozess: Tonbandmitschnitte, Protokolle, Dokumente. Direct Media Publishing, Berloin 2004, S. 5550–5693.
↑International Military Tribunal: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Band 20; München: Delphin, 1984 (Nachdruck = Nürnberg 1948); ISBN 3-7735-2510-9; S. 531–563 (7. und 8. August 1946).
↑Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition: Mit einer Einleitung von Angelika Ebbinghaus zur Geschichte des Prozesses und Kurzbiographien der Prozeßbeteiligten. S. 124. / Karsten Linne (Hrsg.): Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, Quellen zum Umfeld. Im Auftrag der Hamburger Stiftung Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts herausgegeben von Klaus Dörner. Deutsche Ausgabe, Mikrofiche-Edition, München 1999.