In der ursprünglichen Konzeption des Romans 20.000 Meilen unter dem Meer sah Jules Verne vor, Kapitän Nemo als polnischen Aristokrat der Szlachta darzustellen. Diese Romanfigur hätte die während des Januaraufstands von 1863/1864 gegen die russische Unterdrückung umgekommene eigene Familie rächen wollen. Ein Manuskript dazu ist nicht bekannt. Der VernienVolker Dehs nimmt an, dass die Idee in den ersten Gesprächen zwischen Jules Verne und seinem Verleger Pierre-Jules Hetzel verworfen wurde. Der Verleger dürfte die Zensur des Buches durch das Russische Reich und Einbußen beim Export seiner Produkte ins Russische Reich befürchtet haben.[2]
Beschreibung
Im Roman 20.000 Meilen unter dem Meer wird der gelehrte und geniale Ingenieur Nemo als mysteriöser Mann dargestellt. Er ist, wie er selbst sagt, unermesslich reich, woher dieser Reichtum stammt, wird nicht deutlich.
Erst der Roman Die geheimnisvolle Insel erwähnt die Herkunft von Kapitän Nemo. Danach ist er Inder, der als Prinz Dakkar geboren wurde.[3] Er ist Sohn eines Rajahs des früher unabhängigen Territoriums Bundelkhand und Neffe des indischen Helden Tippo-Saib. Im Alter von zehn Jahren ist er von seinem Vater nach England geschickt worden, um dort eine gute Erziehung zu erhalten und später gegen die Briten kämpfen zu können, die der Vater als die Unterdrücker seines Landes betrachtete. Nemo liebt die westliche Wissenschaft und Kultur, behält aber seine indische Identität. Nach seiner Rückkehr nach Indien heiratet er und plant die Vertreibung der Engländer, die das Land besetzt halten. Seine Revolte wird jedoch blutig niedergeschlagen und seine gesamte Familie findet dabei den Tod. Verbittert wendet er der Welt den Rücken zu und zieht sich mit wenigen, ihm treu ergebenen Begleitern zurück. Nemo trägt erbitterten Hass auf Großbritannien in sich. Nach dem Aufstand der Sepoys baut Nemo mit dem Rest seines Vermögens unter größter Geheimhaltung auf einer einsamen Insel die Nautilus, die ursprünglich als Forschungsschiff geplant war. Dann beginnt er seinen Rachefeldzug, bei dem er die Meere mit einer engagierten Mannschaft durchquert. Er findet die untergegangene spanische Armada und hebt das Gold, das er von dem Zeitpunkt an verwendet, um den Freiheitskampf unterdrückter Völker zu unterstützen.
Gegen Ende des Romans Die geheimnisvolle Insel verstirbt Kapitän Nemo im Alter von 60 Jahren auf der Nautilus, die in einer unterirdischen Grotte auf der fiktiven Insel „Lincoln“ im südlichen Pazifik festsitzt. Anschließend wird das Boot durch einen Vulkanausbruch endgültig begraben.[4]
Kapitän Nemo (rechts) als Buchillustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou, 1870
Kapitän Nemo beobachtet ein Seeungeheuer am Fenster der Nautilus
„Lebe wohl, Sonne!“, Ausspruch von Kapitän Nemo beim Hissen seiner Flagge am Südpol
Kapitän Nemo auf dem Sterbebett, Buchillustration von Jules Férat
Werkdeutungen
In späteren literaturwissenschaftlichen Betrachtungen sehen einige Autoren bei der Figur des Kapitän Nemo Parallelen zum homerischen Helden Odysseus. In beiden Werken sind die jeweiligen Helden intellektuell aufgeschlossene Kapitäne eines Schiffes und Kommandanten einer loyalen Mannschaft. Im Laufe ihrer Reise begegnen sie fremden Umgebungen und seltsamen Kreaturen. Auch die Namensgebung von Nemo wird in späteren Werkdeutungen von einigen Kulturwissenschaftlern mit der Odyssee von Odysseus in Verbindung gebracht. Im neunten Gesang erzählt dieser, er habe dem KyklopenPolyphem zunächst seinen wahren Namen verschwiegen und sich Οὖτις genannt, das altgriechische Wort für niemand.[5]
Rezeption
Verfilmungen
Innerhalb von Verfilmungen wird die Figur des Kapitän Nemo durch die nachfolgenden Schauspieler dargestellt:
1993: Das Konzeptalbum Mobilis in Mobile der französischen Gruppe L’Affaire Louis Trio ist eine Hommage an Kaptain Nemo. Die Lieder Captain, Mobilis in Mobile und The Last Hour enthalten präzise Hinweise auf die Figur. Die Aufnahmen enthalten Unterwasser- und Maschinengeräusche sowie Walgesänge.
2003: Im Chanson Elle préfère l’amour en mer. (Sie bevorzugt die Liebe auf See) von Philippe Lavil wird erwähnt, dass die Marine stolz auf Kapitän Nemo ist.
2022: Das deutsche Elektro-Duo U96 veröffentlichte zum 30-jährigen Jubiläum das Album 20.000 Meilen unter dem Meer mit dem Lied Ich, Nemo.
2023: Die deutsche Doom-Metal-Band Ahab widmete ihr Album The Coral Tombs Kapitän Nemo, unter anderem in Liedern wie Mobilis in Mobili
Stephen Bertman: Captain Nemo’s Classical Pedigree. In: Verniana, 2017–2018, 10, S. 219–222; verniana.org (PDF; 1,4 MB).
Robert O’Connor: Nemo, the Nautilus, and the Triumph of the Instrumented Will. In: Verniana, 2009–2010, 2, S. 125–132; verniana.org (PDF; 0,1 MB).
Peter Costello: Jules Verne. Der Erfinder der Science-Fiction. Qalander-Verlag, Aalen 1979, ISBN 3-922121-09-8.
Volker Dehs: Nemo, Flourens et quelques autres – Divagations autour de Vingt mille lieues sous les mers. In: Verniana, 2010–2011, 3, S. 11–32; verniana.org (PDF; 3,5 MB).