Als Intervall (von lateinischintervallum‚Zwischenraum‘)[1] bezeichnet man in der Musik den Tonhöhenabstand zwischen nacheinander (sukzessiv) oder gleichzeitig (simultan) erklingenden Tönen. Im deutschsprachigen Raum werden Intervalle in Anlehnung an die lateinischen Ordinalzahlen benannt: „Prime“ (von lateinisch prima, „die Erste“), „Sekunde“ (von secunda, „die Zweite“), „Terz“ (von tertia, „die Dritte“) usw. Im romanisch- und englischsprachigen Raum werden in der Regel die Ordinalzahlen der jeweiligen Sprache verwendet.
Beispiel für Intervalle sind die große Terz f1–a1, die Quarte f1–b1, die Quinte f1–c2 und die Oktave f1–f2.[2]
Nach der LegendePythagoras in der Schmiede definierte dieser die für Tonalität zentralen Intervalle als ganzzahlige Frequenzproportionen von Längen schwingender Saiten eines Monochords:
Oktave (Frequenz): 2:1 (Oktave aufwärts bei Halbierung der Länge)
Quinte (Frequenz): 3:2 (Quinte aufwärts bei zwei Dritteln der Länge)
Er berücksichtigte nicht die große Terz (5:4), sondern ein aus zwei großen Ganztönen bestehendes, um das syntonische Komma (81:80) größeres Intervall: den Ditonus (81:64). Zog man den Ditonus von einer reinen Quarte ab, so blieb das Leimma übrig (256:243). Mit diesen Intervallen ließ sich kein stabiler harmonischer Dreiklang bilden, so dass die antike griechische Musik noch keine Harmonik im späteren europäischen Sinn ausbildete.[4] Erst Archytas und Didymos bestimmten die große Terz (5:4), Eratosthenes die kleine Terz (6:5).
Die Pythagoreer ließen nur als ganzzahlige Verhältnisse errechenbare Intervalle gelten. Sie fanden keinen Quotienten, dessen Verdoppelung 9:8 ergibt, so dass sie den Ganzton nicht in zwei gleiche Halbtöne, sondern nur in einen kleineren (diesis) und einen größeren (apotome) Halbton teilen konnten. Auch war eine Oktave für sie mathematisch nicht exakt mit der Summe von sechs Ganzton- oder zwölf Halbtonschritten identisch, denn zwölf aneinander gereihte reine Quinten ergeben einen etwas höheren Zielton als die siebte Oktave des Ausgangstons. Die Differenz bezeichnet man als das pythagoreische Komma.[5]
Philolaos wandelte erstmals addierte musikalische Intervalle in multiplizierte akustische Proportionen um. Diese Methode wurde nach 1585 von Simon Stevin durch eine Exponentialfunktion und um 1640 von Bonaventura Francesco Cavalieri und Juan Caramuel y Lobkowitz durch die logarithmische Umkehrfunktion optimiert. Euklid fasste Intervallproportionen hypothetisch bereits als Frequenzverhältnisse auf, ohne sie schon messen zu können.
Im Gegensatz zu den Pythagoreern definierte Aristoxenos Intervalle nicht mathematisch, sondern akustisch als hörbaren „Zwischenraum“ (diastema) zwischen zwei Tönen einer kontinuierlichen Melodie, wie es griechischer Musikpraxis entsprach. Demgemäß ordnete er jedem Intervall eine bestimmte Anzahl festgelegter Tonhöhen (Töne) zu, die es umfasst. So enthielt die Quarte vier aufeinander folgende Töne, ein sogenanntes Tetrachord. Dessen Außentöne wurden später ebenfalls kurz als Intervall bezeichnet, so dass der Begriff fortan den Abstand vom ersten zum letzten Ton einer solchen Tonfolge meinte.
Den Ganzton teilte Aristoxenos praktisch in zwei, drei oder vier gleiche Teilintervalle ein. Die verschiedene Kombination von Halb- und Ganztönen innerhalb eines Tetrachords ergab dessen genus (Tongeschlecht: diatonisch, chromatisch oder enharmonisch). Zwei im Abstand eines Ganztons aufeinander folgende Tetrachorde ergaben verschiedene Tonleitern (Modi) im Rahmen einer Oktave.[6]
Intervalle der gleichstufigen und reinen Stimmung
Größe und Frequenzverhältnisse von Intervallen
In gleichstufiger Stimmung kann man Intervalle durch die Anzahl der Halbtöne H (1 H = 100 Cent) angeben, die sie umfassen. Da die gleichstufige Stimmung jedoch ein Kompromiss in der Intonation ist, werden die genauen Werte in reiner Stimmung mit dem Frequenzverhältnis und dem logarithmischen Maß Cent angegeben.
Die von der antiken griechischen Musiklehre beeinflusste Darstellung der Tonsysteme durch die europäische Musiktheorie beruht auf heptatonischenTonleitern, d. h. Skalen mit sieben Tonstufen innerhalb eines Oktavrahmens, deren Binnenstrukturen aus unterschiedlich großen Tonschritten (Ganzton- und Halbtonschritten) bestehen und daher als diatonisch bezeichnet werden. Aus den lateinischen Ordinalzahlen der innerhalb einer skalaren Darstellung absoluten Tonstufen (prima „die Erste“, secunda „die Zweite“, tertia „die Dritte“ usw.) ergaben sich die Namen der Intervalle, die sich ebenso auf relative Tonabstände beziehen können. So bezeichnet die Angabe „eine Terz aufwärts“ den relativen Abstand einer Tonstufe zu der zwei Tonschritte höher liegenden Stufe, beispielsweise von der ersten zur dritten, oder von der dritten zur fünften Tonstufe einer Skala.[7]
In der Literatur finden sich folgende Intervallnamen:
Quintdezime oder Quindezime[9] oder Doppeloktave[11]
Intervallgrößen
Intervalle im Notenbild
Die Intervalle Sekunde, Terz, Sexte und Septime kommen in je zwei Typen vor, als großes und kleines Intervall. Der Unterschied beträgt jeweils einen Halbton.
Primen und Oktaven, Quarten und Quinten werden als rein bezeichnet.[12]
Jedes Intervall kann in übermäßiger oder verminderter Form auftreten. Auch dies bedeutet Vergrößerung bzw. Verkleinerung um einen Halbton. Die übermäßige Quarte (auch Tritonus genannt) und die verminderte Quinte finden sich schon in der Stammtonreihe: F–H bzw. H–f, und entsprechend in jeder Durtonleiter zwischen vierter und siebter Tonstufe und jeder Molltonleiter zwischen zweiter und sechster Stufe. Diese beiden Intervalle klingen in der gleichstufigen Stimmung gleich. In allen anderen Fällen entstehen übermäßige oder verminderte Intervalle durch Alteration, also Erhöhen oder Erniedrigen eines Tons um einen Halbtonschritt.
Die Erhöhung bzw. Erniedrigung übermäßiger bzw. verminderter Intervalle führt zudoppelt übermäßigen und doppelt verminderten Intervallen.
Intervallsigel
Neben der Verwendung arabischer Zahlen für die Intervalle (1 = Prime, 2 = Sekunde, 3 = Terz usw.) gibt es zur Darstellung von Intervallgrößen unterschiedliche Methoden abgekürzter Schreibweisen (Sigel), wobei die Bedeutung der teilweise uneinheitlich verwendeten Kürzel oftmals erst aus dem Kontext erschlossen werden kann:
M oder maj bzw. j (engl. major), seltener auch + [13] = groß
Als Komplementärintervalle, Ergänzungsintervalle oder Umkehrintervalle bezeichnet man je zwei Intervalle im Oktavraum, die einander zu einer Oktave ergänzen. Das Komplementärintervall entsteht, indem beim gegebenen Intervall (Grundform) der obere Ton um eine Oktave nach unten oder der untere um eine Oktave nach oben versetzt wird. Jeweils komplementär sind:
Primen und Oktaven,
Sekunden und Septimen.
Terzen und Sexten,
Quarten und Quinten.
Dabei bleiben reine Intervalle rein, große werden mit kleinen, verminderte mit übermäßigen Intervallen ergänzt und umgekehrt. Intervalle, die über die Oktave hinausgehen, werden nicht gesondert ergänzt, sondern als Addition zu einer Oktave aufgefasst: Eine Dezime entspricht also einer Oktave plus einer Terz; zu ihr ist dann ebenfalls eine Sexte komplementär.
Intervallqualität
Erklingen die Töne eines Intervalls gleichzeitig, so können sie in konsonante („zusammenklingende“) und dissonante („auseinanderklingende“) Zusammenklänge eingeteilt werden.
Einteilung in Konsonanzen und Dissonanzen
Als konsonant werden Intervalle bezeichnet, deren Töne als miteinander verschmelzend, zueinander gut passend, harmonisch entspannt, ruhig und stabil klingend empfunden werden. Als dissonant gelten Intervalle, deren Töne eine starke Reibung gegeneinander haben und unruhig klingen und darum beim Hörer den Wunsch nach einer Auflösung in eine Konsonanz erzeugen.
Welche Intervalle als konsonant oder dissonant gelten bzw. empfunden werden, hängt vor allem mit kulturell geprägten Hörgewohnheiten zusammen. Allgemein gilt aber: der Grad der Konsonanz ist umso höher, mit je kleineren ganzen Zahlen sich das Verhältnis (die Proportion) der Schwingungszahlen (Frequenzen) der beiden Töne eines Intervalls ausdrücken lässt. Diese Entdeckung wird Pythagoras zugeschrieben. In der Antike, wie auch noch das gesamte Mittelalter hindurch, galten einzig die Oktave (Frequenzverhältnis 1:2), die Quinte (2:3) und die Quarte (3:4) als Konsonanzen.[15] Etwa seit 1500 wurden allmählich auch Terzen und Sexten als Konsonanzen empfunden. Als Dissonanzen gelten alle Sekunden und Septimen sowie alle übermäßigen oder verminderten Primen, Quarten, Quinten und Oktaven. Eine Sonderstellung nahm etwa seit dem 16. Jahrhundert die Quarte ein: in der Satz- und Kontrapunktlehre galt sie als Dissonanz, wenn sie im mehrstimmigen Satz aus drei oder mehr Stimmen durch die Unterstimmen gebildet wurde.
Die Möglichkeiten für den Einsatz konsonanter Intervalle haben sich über die Jahrhunderte der Entwicklung der mehrstimmigen Musik in Europa stets erweitert. Nach der traditionellen Harmonielehre der europäischen Kunstmusik werden dissonante Klänge im musikalischen Satz hauptsächlich zur Erzeugung harmonischer Spannung auf unbetonten Zählzeiten und besonders zur Kadenzbildung an Schlüssen oder Binnenzäsuren eingesetzt. Ein besonders typisches Beispiel hierfür ist der Dominantseptakkord, welcher die kleine Septime als dissonanten Ton führt. In der Funktionsharmonik der europäischen Musik hat dieser Klang die Funktion, die harmonische Spannung vor dem konsonanten Schlussklang zu erhöhen. Der funktionsharmonisch geprägte Hörer hört hier eine deutliche Strebetendenz der Septime (Leitton) – sie muss einen Halbton abwärts aufgelöst werden.
Der Gebrauch von Dissonanzen für erhöhte harmonische Spannung verstärkte sich in der Romantik und Spätromantik zunehmend. Bereits die Musik Richard Wagners, Max Regers oder auch Gustav Mahlers zeigte Tendenzen dahin, dass nahezu jeder tonleitereigene oder tonleiterfremde Ton als nach oben oder unten auflösbarer Leitton verwendet werden konnte, so dass sich die Tonalität aufzulösen begann (siehe auch: verminderter Akkord, übermäßiger Akkord).
In der atonalen Musik des 20. Jahrhunderts, aber z. B. auch mit dem Jazz kann man dann von einer Emanzipation der Dissonanz sprechen. Bei der Kompositionstechnik der Zwölftonmusik werden bevorzugt Dissonanzen angewendet. Dadurch wirken bewusst gesetzte Konsonanzen in diesen Musikstücken „instabil“; wegen dieses Reizes konnte beispielsweise der Dreiklang in der Zwölftonmusik als besonderes Ausdrucksmittel in Form eines Motives eingesetzt werden.
In der Jazzharmonik übernahmen Akkorde mit hinzugefügten Septimen, Nonen oder auch verminderten Quinten die Funktion von Hauptklängen, während diese nach der traditionellen Harmonielehre nur aus konsonanten Intervallen bestehen dürfen.
„… gar fest umdie Hand.“ (2. Schluss von Zum Tanze da geht ein Mädel) „Schick-sals-me-lodie“ / „Wheredo I begin“ (Soundtrack Love Story von Francis Lai)
Sigalia Dostrovsky, John T. Cannon: Entstehung der musikalischen Akustik (1600–1750). In: Frieder Zaminer (Hrsg.): Geschichte der Musiktheorie. Band 6. Darmstadt 1987, ISBN 3-534-01206-2, S. 7–79.
Mark Lindley: Stimmung und Temperatur. In: Frieder Zaminer (Hrsg.): Geschichte der Musiktheorie. Band 6. Darmstadt 1987, ISBN 3-534-01206-2, S. 109–332.
Wilfried Neumaier: Was ist ein Tonsystem? Frankfurt am Main / Bern / New York 1986, ISBN 3-8204-9492-8.
Wieland Ziegenrücker: Allgemeine Musiklehre mit Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1977; Taschenbuchausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, und Musikverlag B. Schott’s Söhne, Mainz 1979, ISBN 3-442-33003-3, S. 63–77 (Die Intervalle).
↑Beim Intervallum handelt es sich eigentlich um den freien Raum zwischen den äußeren Schanzpfählen (lat. vallus) und den inneren Unterkünften eines römischen Marschlagers. Zur Etymologie vgl. Douglas Harper: interval. In: Online Etymology Dictionary (englisch).
↑Mit den Frequenzen für f1 (352 Hz), a1 (440 Hz), b1 (469,33 Hz), c2 (528 Hz) und f2 (704 Hz) berechnet sich das Frequenzverhältnis der Intervalle in der reinen Stimmung folgendermaßen: Große Terz = 5:4 (f1–a1: 440 Hz:352 Hz = 5:4), Quarte = 4:3 (f1–b1: 469,33 Hz:352 Hz = 4:3), Quinte = 3:2 (f1–c2 528 Hz:352 Hz = 3:2) und Oktave = 2:1 (f1–f2: 704 Hz:352 Hz = 2:1)
↑ ab
Die Rechnung erfolgt hier in moderner Fassung mit den Frequenzverhältnissen (Intervalle aufwärts größer als 1, Intervalle abwärts kleiner als 1). Den Längenverhältnissen der Saite entsprechen die Kehrwerte der Frequenzverhältnisse.
↑Arnold Schering: Handbuch der Musikgeschichte, Georg Olms Verlag, Hildesheim 1976, S. 23.
↑Peter Schnaus: Europäische Musik in Schlaglichtern. Meyers Lexikonverlag, Mannheim u. a. 1990, ISBN 3-411-02701-0, S. 28.
↑Peter Schnaus: Europäische Musik in Schlaglichtern. S. 25.
↑Wenn nicht ein relatives Intervall, sondern eine absolute Tonstufe gemeint ist, also das Intervall abgetragen an der ersten Stufe einer Tonleiter oder am Grundton eines Simultanklangs, werden gelegentlich die Bezeichnungen Terzton, Quintton usw. benutzt. Vergleiche hierzu: H. J. Moser: Allgemeine Musiklehre. 3. Auflage. Verlag de Gruyter, 1968, S. 42. und Walter Opp: Handbuch Kirchenmusik. Band 1. Merseburger, 2001, ISBN 3-87537-281-6, S. 216, 225, 235.
↑ abc
Helmut K. H. Lange: Allgemeine Musiklehre und musikalische Ornamentik. Ein Lehrbuch für Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen. Franz Steiner, Stuttgart 1991, ISBN 3-515-05678-5, S.59 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑ ab
Gottfried Weber: Allgemeine Musiklehre für Lehrer und Lernende. Carl Wilhelm Leske, Darmstadt 1822, S.58 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Mark Levine: Das Jazz Piano Buch. Advance Music, Petaluma 1992, ISBN 3-89221-040-3, S.33.
↑
Helmut K. H. Lange: Allgemeine Musiklehre und musikalische Ornamentik. Ein Lehrbuch für Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen. Franz Steiner, Stuttgart 1991, ISBN 3-515-05678-5, S.24 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Mit der reinen Stimmung hat das Wort „rein“ hier nichts zu tun.
↑ abNicht mit den Vergleichszeichen > „größer als“ und < „kleiner als“ zu verwechseln, sondern wie Decrescendo-Zeichen (abnehmend) und Crescendo-Zeichen (zunehmend) zu interpretieren.