Die Höhe der Grundfreibeträge bis zum Jahr 1995 folgt keiner einheitlichen Systematik und Begründung.[10]
Verfassungsrechtliche Grundlagen seit 1996
In einer Reihe von Entscheidungen stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben im Grundgesetz – insbesondere mit Blick auf die Bedeutung und rechtliche Tragweite des Sozialstaatsprinzips – das Steuerrecht und das Sozialhilferecht eng miteinander verknüpft sind.[11][12] Die deutliche Anhebung des Grundfreibetrages im Jahre 1996 ist auf diese Rechtsprechung zurückzuführen (siehe Tabelle).
Dem Einkommensteuerpflichtigen muss nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen seiner Familie bedarf („Existenzminimum“).[13] Maßgröße für die Bemessung des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums ist das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum, das über-, aber nicht unterschritten werden darf.[14][13][15][16] Die existenzsichernden Aufwendungen müssen nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht bemessen werden, steuerfrei muss das bleiben, was zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird.[15]
Dabei ist auch die Belastung durch die in die Verbraucherpreise eingehenden indirekten Steuern zu berücksichtigen und bei der Einkommensbesteuerung zu kompensieren.[17] Nach Meinung aus dem Bundesfinanzministerium müssten höhere und den regelsatzrelevanten Verbrauch betreffende indirekte Steuern jedoch zunächst zu einer Erhöhung der Regelleistung führen, ehe sich Auswirkungen auf die steuerlichen Freibeträge ergeben könnten.[18]
Bei Familien ist es verfassungsrechtlich geboten, das Einkommen auch insoweit von der Steuer freizustellen, als es für die Kinderbetreuungskosten und zur Deckung des Erziehungsbedarfs eines Kindes benötigt wird.[19][18] (siehe HauptartikelKinderfreibetrag)
Sozialhilfe als Basis für die Bemessung des Grundfreibetrags
Die Ermittlung des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums erfolgt auf der Basis des geltenden Sozialhilferechts (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch, Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz). Folgende sozialhilferechtlichen Bedarfskomponenten werden berücksichtigt:
Regelbedarf
Bedarfe für Bildung und Teilhabe von Kindern
Kosten der Unterkunft (Bruttokaltmiete bzw. vergleichbare Aufwendungen für Haus- oder Wohnungseigentum in angemessener Höhe)
Heizkosten einschließlich Kosten für Warmwasserbereitung
Die Festlegung (bzw. Beschränkung) auf die genannten Bedarfskomponenten ergibt sich aus dem Kriterium des notwendigen sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs. Sonderbedarfe (z. B. für Alleinerziehende) finden aufgrund ihres einzelfall- bzw. gruppenbezogenen Charakters keine Berücksichtigung bei der Ermittlung des Grundfreibetrags. Nicht berücksichtigt wird ferner der durch Ausübung einer Arbeit entstehende Mehrbedarf. Die mit der Erwerbsarbeit verbundenen Aufwendungen (Werbungskosten) werden steuerrechtlich durch den Arbeitnehmerpauschbetrag und die Entfernungspauschale berücksichtigt.
Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung werden nicht zur Ermittlung des Grundfreibetrags herangezogen. Steuerrechtlich sind diese Vorsorgeaufwendungen nach § 10 EStG als Sonderausgaben absetzbar.
Existenzminimumberichte der Bundesregierung
Der Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern (kurz: Existenzminimumbericht) wird gemäß dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom 2. Juni 1995 von der deutschen Bundesregierung alle zwei Jahre vorgelegt.[20]
Aus dem Existenzminimumbericht, der prognostisch angelegt ist (Ex-ante-Berechnung), ergibt sich jeweils die Höhe des von der Einkommensteuer freizustellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern.[21] Hieran orientiert sich auch das Kindergeld.
Sächliches Existenzminimum
Von 1996 bis 2022 wurde der Grundfreibetrag von 6.184 € auf 10.347 € erhöht. Die Vergleichbarkeit mit den im jeweiligen Veranlagungsjahr geltenden Freibeträgen ist eingeschränkt.
Steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminima in den bisherigen Existenzminimumberichten[18]
Quelle
Berichtsjahr
sächliches Existenzminimum
nachrichtlich:
Alleinstehende
Ehepaare
Kinder
Grundfreibetrag, für Ehegatten × 2
Kinderfreibetrag, ohne Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf
In ihrem „Achten Existenzminimumbericht“[29] vom Mai 2011 bezifferte die Bundesregierung den für das Jahr 2012 angenommenen sozialhilferechtlichen Mindestbedarf („sächliches Existenzminimum“) für einen Alleinstehenden auf insgesamt 7.896 € jährlich. Für Ehepaare wurde ein sächliches Existenzminimum von 13.272 € veranschlagt, und für ein Kind ein sozialhilferechtlich definiertes Existenzminimum von 4.272 €.
Das einkommensteuerliche Existenzminimum (Grundfreibetrag) beträgt für Alleinstehende 8.004 €; für Ehepaare 16.008 €.
Im 10. Existenzminimumbericht[30] aus dem Januar 2015 hat das Bundeskabinett die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums für Kinder und Erwachsene beschlossen. Der steuerliche Grundfreibetrag soll an diese Zahl angepasst werden. Er steigt rückwirkend zum 1. Januar 2015 auf 8.472 €. Zum 1. Januar 2016 wird er dann nochmals um 180 € auf 8.652 € erhöht.
International
Dem Grundfreibetrag gleichwertige Konstrukte gibt es auch in anderen Einkommensteuersystemen:
im australischen Einkommensteuerrecht liegt der Grundfreibetrag bei 18.200 AUD
im britischen Einkommensteuerrecht liegt die "personal allowance" bei 12.570 Pfund für eine unverheiratete Person unter 65 Jahren und einem Einkommen geringer als 100.000 Pfund
im Einkommensteuerrecht der USA gibt es verschiedene Reduzierungsbeträge, die im Ergebnis wie ein Grundfreibetrag in Höhe von 10.000 USD wirken:
Beispiel: alleinstehende Person, keine Kinder, unter 65 Jahren und nicht blind, Einkünfte 40.000 USD abzüglich 6.100 USD “standard deduction” abzüglich 3.900 USD “personal exemption” = 30.000 USD zu versteuerndes Einkommen
↑Diese Zahl wurde mit der Vorlage:Inflation ermittelt, ist auf volle zehn Euro gerundet und bezieht sich auf Januar 2024; bei Zeiträumen ist das letzte Jahr maßgeblich.
↑ abcVgl. Seite 53 (bzw. Seite 7 von 11 der PDF; Tabelle 2: Steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminima in den bisherigen fünf Existenzminimumberichten) sowie Seite 55 (bzw. Seite 9 von 11 der PDF) in: econstor.eu