Ein Entzugssyndrom (auch Entzugserscheinung oder Abstinenzsyndrom) ist jede körperliche und psychische Erscheinung, die infolge von teilweisem oder vollständigem Entzug von psychotropen Substanzen bzw. deren Wirkstoffe auftritt (stoffliche Sucht). Bei Medikamenten (z. B. Antidepressiva) wird dies als „Absetzerscheinung“ bezeichnet.
Jede Substanzgruppe erzeugt spezifische Entzugssymptome. Ihr Auftreten ist ein Kriterium für die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms.[1]
Nach ICD-10 erfolgt die Einteilung der psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen in substanzspezifische Untergruppen (F10-F19). Kommt es zu einem Entzugssyndrom, wird eine 3 angefügt, beispielsweise F12.3 bei Cannabinoiden. Falls zusätzlich ein Delir auftritt, wird eine 4 eingesetzt, beispielsweise F10.4 bei einem alkoholbedingten Delirium tremens.[1] Die Unterscheidung erfolgt, weil es sich beim Delir um ein lebensbedrohliches Geschehen handelt.
Das Alkoholentzugssyndrom (AES) ohne Delirium ist ein komplexes, unterschiedlich schwerwiegendes Zustandsbild, das meist 4–12 Stunden nach der letzten Alkoholaufnahme (oder der Verminderung der Trinkmenge) auftritt und mehrere Tage akut anhalten kann. Bei rund einem Drittel der Betroffenen ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich, für die sowohl europäische als auch US-amerikanische Leitlinien erarbeitet wurden.[2]
Konsumenten von Cannabinoiden können eine psychische Abhängigkeit entwickeln, wobei verschiedene Studien wie die Kleiber-Kovar-Studie und der Roques-Report von einem eher geringen Abhängigkeitspotenzial ausgehen, andere Studien jedoch ein höheres Suchtpotenzial ermitteln.[6]
Eine Studie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von 2008 mit etwa 200 stationären Patienten während eines Cannabisentzuges lieferte ein uneinheitliches Bild bezüglich der Schwere der zu erwartenden Entzugserscheinungen, wobei zwei Gruppen erkannt wurden: eine Gruppe hatte kaum oder nur geringe körperliche und psychische Entzugserscheinungen, während die zweite Gruppe stärkere Beschwerden angab.
Mitglieder der ersten Gruppe nannten nach ihrer Selbstwahrnehmung für Entzugssymptome auf einer Skala von 0 bis 4 (1=mild, 4=stark) Werte zwischen 0 (keine) und 1 (milde); dabei wurden körperliche Beschwerden wie Appetitminderung und Schlafstörungen, Magenbeschwerden und vermehrtes Schwitzen, aber auch psychische Entzugssymptome wie etwa Angstgefühle, Verärgerung, Aggressionen, Reiz- und Erregbarkeit sowie Ruhelosigkeit berichtet. Die zweite Gruppe beschrieb im Mittel milde bis moderate Beschwerden.
Etwa 30 % der Patienten gaben in den ersten vier Tagen einen moderaten bis starken Suchtdruck an; die geringer betroffene Gruppe klagte nur in den ersten beiden Tagen über milde bis geringe Beschwerden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass „[…] selbst bei hoch belasteten Patienten nur bei einem Teil der Probanden ein Cannabisentzugssyndrom nachweisbar […]“ gewesen wäre.[7]
GHB und GBL
4-Hydroxybutansäure (GHB) und γ-Butyrolacton (GBL) erzeugen einen ähnlichen Entzug wie Alkohol mit bei schwerwiegendem Verlauf Übelkeit, Erbrechen und Delirium, jedoch von deutlich geringerer Dauer. In den meisten Fällen nehmen die körperlichen Symptome bereits nach 12 bis 96 Stunden ab, er kann aber auch bis zu 2 Wochen anhalten.[8]
Nach anhaltendem Konsum führt der absolute (vollständige) oder relative (z. B. durch eine Dosisreduktion) Entzug von Opioiden (wie Buprenorphin, Codein, Dihydrocodein, Heroin, Methadon oder Morphin) zu einem unterschiedlich stark ausgeprägten Opioidentzugssyndrom. Dabei handelt es sich um ein (nicht zwingend notwendiges) Kriterium für die Diagnose einer Abhängigkeit von Opioiden.
Steroide
Nach abrupter Beendigung einer längeren Therapie mit Steroiden kann es durch mangelnde Produktion in der Nebennierenrinde zu Komplikationen kommen.
↑ abMathias Berger, Jörg Angenendt (Hrsg.): Psychische Erkrankungen: Klinik und Therapi e. 3., vollst. neu bearb. und erw. Auflage. Elsevier, Urban & Fischer, München, Jena 2009, ISBN 978-3-437-22481-2.
↑Ursula M. Borgiel: Altenpflege Heute: Alle Kompetenzbereiche der generalistischen Pflegeausbildung. Elsevier Health Sciences, 2021, ISBN 978-3-437-06145-5 (google.com [abgerufen am 21. Februar 2023]).
↑Manfred Gerlach, Claudia Mehler-Wex, Susanne Walitza, Andreas Warnke, Christoph Wewetzer: Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter: Grundlagen und Therapie. Springer-Verlag, 2016, ISBN 978-3-662-48624-5 (google.com [abgerufen am 21. Februar 2023]).
↑Ridenour et al.: Factors associated with the transition from abuse to dependence among substance abusers: implications for a measure of addictive liability. In: Drug Alcohol Depend. 80. Jahrgang, Nr.1, 2005, S.1–14, PMID 16157227.
↑Anna-Bettina Watzke: Cannabisentzugssymtome und Hinweise auf Persönlichkeitsstörungen bei stationär behandelten Patienten während des Cannabisentzuges Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Halle (Saale) 2008, OCLC436310810 (online [PDF] Dissertation).
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