Er war Luther- und Kierkegaardspezialist. Er ist durch seine Übersetzungen von Kierkegaards Werken bekannt, die noch lange in Gebrauch waren. Darüber hinaus war er ein guter Kenner des deutschen Idealismus, v. a. Fichtes. Hirschs Ansatz ist dadurch bestimmt, dass es kein Zurück hinter die moderne Frage nach persönlicher Gewissheit gibt. Vor diesem Hintergrund kann Theologie keine traditionell autorisierten Dogmen wiederholen, sondern muss das Gewissen des Einzelnen ansprechen. „Gewissen“ ist in Hirschs Denken ein Zentralbegriff. Hirsch beschäftigte sich ebenfalls mit neutestamentlichen Fragen wie der Geschichte der Evangelientradition oder dem Wesen des Osterglaubens. In seinen späteren Jahren verarbeitete er religiöse und theologische Erfahrungen auch literarisch, so etwa in mehreren Romanen.
Hirschs Werk ist außerordentlich vielseitig und findet bis heute Berücksichtigung im theologischen und philosophischen Lehrbetrieb. Dennoch blieb die Rezeption seines Werkes hinter seinem Potential zurück, was eindeutig mit seiner aktiven Unterstützung der nationalsozialistischen Ideologie und Politik im Zusammenhang steht.
Theologische Lehren
Besonders hervorzuheben ist sein Buch Weltbewusstsein und Glaubensgeheimnis (1967).[1] Er kommt dabei auf zwei grundsätzlich verschiedene und gegensätzliche Typen von Christen zu sprechen:
Die einen sprechen im mythischen, metaphysischen und legendenhaften Sinne vom Glaubensgeheimnis.
Die anderen wissen darum, dass Gottesaussagen stets Grenzaussagen mit antinomischem Gepräge sind.
Für diese beiden Gruppen fordert Hirsch eine gegenseitige, innerchristliche Toleranz. Wichtig ist ihm dabei die Bekämpfung der intellektuellen Werkgerechtigkeit, weil das Glaubensgeheimnis nur in einer „Schwebelage“ zu haben ist.
Nationalsozialismus
Während der Weimarer Republik war Hirsch Anhänger des deutschnationalen Parteiführers Alfred Hugenberg. Er wurde zu den Wortführern der Deutschen Christen und theologischer Berater des späteren Reichsbischofs Ludwig Müller. Obwohl er sich zunächst selbst nicht als Nationalsozialisten bezeichnete, betrachtete er Hitler bei der Reichspräsidentenwahl 1932 als einzige Hoffnung auf eine nationale „Wiedergeburt“. Nach dessen Machtergreifung schrieb er:
„Kein einziges Volk der Welt hat so wie das unsere einen Staatsmann, dem es so ernst um das Christliche ist; als Adolf Hitler am 1. Mai seine große Rede mit einem Gebet schloß, hat die ganze Welt die wunderbare Aufrichtigkeit darin gespürt.“
– Hirsch, Emanuel: Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen. – Berlin-Charlottenburg, 1933, S. 24
Hirsch verurteilte jene, die Hitler kritisch gegenüberstanden, und ging sogar soweit, Kollegen und Studenten zu denunzieren. So hatte er z. B. entscheidenden Anteil an der Entlassung seines reformierten Kollegen Karl Barth aus dessen Bonner Lehramt.[6] Kurz nach dem Krieg quittierte er seinen Dienst, wodurch er das Recht auf Ruhegehalt verlor. Er selbst begründete dies mit gesundheitlichen Problemen. In der Tat war er schon seit 1931 fast blind, doch wird allgemein angenommen, dass er mit der Dienstquittierung vor allen Dingen dem Verfahren der Entnazifizierung, das wahrscheinlich zu einem Lehrverbot geführt hätte, entgehen wollte.[4]
Werkedition
Seit 1999 erscheinen die „Gesammelten Werke“ Emanuel Hirschs im Verlag Hartmut Spenner (Kamen). Getragen wird diese Edition, an der sich bereits zahlreiche namhafte Theologen als Bandherausgeber beteiligt haben, von der Stiftung „Emanuel Hirsch: Werkausgabe – Archiv – Forschungsförderung“. Ihr Ziel besteht darin, seine teilweise nur noch schwer zugänglichen theologischen Schriften einer sich der Widersprüchlichkeit und der Härten von Hirschs Denken bewussten Leserschaft zur kritischen Auseinandersetzung neu zur Verfügung zu stellen.
Theologische Schriften
Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, 1914
Christentum und Geschichte in Fichtes Philosophie, 1920
Die idealistische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze. (= Studien des apologetischen Seminars. 14. Heft.), Verlag von C. Bertelsmann, Gütersloh 1926.
Kierkegaard-Studien. Zweites Heft. Der Dichter. (= Studien des apologetischen Seminars, 31. Heft.), Verlag von C. Bertelsmann, Gütersloh 1930.
Kierkegaard-Studien. Drittes Heft. Der Denker. Erste Studie: Der werdende Denker. (= Studien des apologetischen Seminars, 32. Heft.), Verlag von C. Bertelsmann, Gütersloh 1931.
Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung. Akademische Vorlesungen zum Verständnis des deutschen Jahres 1933. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1934.
Die Umformung des christlichen Denkens in der Neuzeit. Ein Lesebuch. Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1938.
Leitfaden zur christlichen Lehre, 1938
Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, 1937 (4. Aufl. 2002 ISBN 3-11-001242-1)
Lutherstudien, 2 Bände, 1954
Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, 5 Bände, 1949–54 (5. Aufl. 1975)
Die Liebe zum Vaterlande. Vierte, um ein Nachwort vermehrte Auflage, Verlag Hermann Beyer & Söhne, Langensalza 1930.
Literatur
Ulrich Barth: Die Christologie Emanuel Hirschs: eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen. Berlin [u. a.] 1992. ISBN 3-11-012894-2
Max Geiger: Geschichtsmächte oder Evangelium? Zum Problem theologischer Geschichtsschreibung und ihrer Methoden. Zürich 1953.
Jochen Hose: Die „Geschichte der neuern evangelischen Theologie“ in der Sicht Emanuel Hirschs. Frankfurt am Main [u. a.] 1999, ISBN 3-631-34343-4.
Arne Lademann: Religion und Politik in der Lutherdeutung Emanuel Hirschs. Systematisch-theologische Untersuchungen über Hirschs Zwei-Reiche-Lehre und seine Fassung des Rechtfertigungsglaubens (= Dogmatik in der Moderne, Bd. 49). Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-162171-0.
A. James Reimer: Emanuel Hirsch und Paul Tillich: Theologie und Politik in einer Zeit der Krise. Berlin [u. a.] 1995, ISBN 3-11-012933-7.
Joachim Ringleben (Hrsg.): Christentumsgeschichte und Wahrheitsbewußtsein: Studien zur Theologie Emanuel Hirschs. Berlin [u. a.] 1991. ISBN 3-11-012700-8
Matthias Wilke: Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs: eine Studie über die Voraussetzungen der Kommunikation christlicher Wahrheit. Tübingen 2005. ISBN 3-16-148777-X
↑Wilfried Härle (Hrsg.): Grundtexte der neueren evangelischen Theologie. Evangelische Verlags-Anstalt, Leipzig 2007, ISBN 978-3-374-02469-8.
↑ abErnst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 258.