Doris Kahane wurde als erstes von zwei Kindern der Eheleute Heinz Josef und Minna Mathilde Emilie Machol, geb. Grabowski,[2] in Berlin geboren. Die Ehe wurde 1926 geschieden.[2] Ihr Großvater, Hermann Machol, war Schularzt von Pankow-Schönhausen.[3] Sie ist die Großnichte von Victor Klemperer.[4][5] Ihre Großmutter Hedwig Machol, geb. Klemperer, starb mit 21 Jahren an den Folgen der Geburt ihres Vaters Heinz.[6][7]
Ihre künstlerische Ausbildung begann sie an der angesehenen privaten Schule Reimann. Ihre Mutter emigrierte mit den Kindern 1933[8] (oder 1936) aus dem nationalsozialistischen Deutschland.[9] Sie lebten auf Mallorca und in Barcelona, wo Doris Machol zur Schule ging, bevor sie nach Paris zogen.[10][11] 1938 nahm sie ein Kunststudium an der Académie Julian auf, die 1939 geschlossen wurde.[12] Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs galt sie in Frankreich, da sie Deutsche war, als étranger indésirable (unerwünschter Ausländer) und wurde 1940 in ein Internierungslager in Südfrankreich gebracht, von wo es ihr gelang zu entkommen. Sie lebte fortan illegal und konnte sich mit kleinen Auftragsarbeiten für Zeichnungen und Malereien durchschlagen.[3] In Cassis und Marseille fand sie Anschluss an ein Milieu anderer bildender Künstler, über die sie in Kontakt mit der Résistance kam.[13] Sie trat der kommunistischen Travail allemand bei, deren Nachfolgeorganisation ab 1943 das Comité „Allemagne libre“ pour l’Ouest der Freien Deutschen Bewegung war, und beteiligte sich an der antifaschistischen Propaganda gegen die deutsche Besatzungsarmee.[14] Sie gehörte zu den wenigen deutschsprachigen Künstlern im Untergrund, die in die Résistance gingen und neben anderen Aufgaben auch Flugblätter illustrierten und zum Fälschen von Dokumenten beitrugen.[15] 1944 wurde sie von der NS-Sicherheitspolizei in Marseille verhaftet und in dem Sammellager Drancy interniert, bis es am 18. August 1944 befreit wurde.[16]
Sie kam im Oktober 1945 als überzeugte Kommunistin nach Ost-Berlin zurück.[17] In der DDR wurde sie als „politisch und rassisch“ Verfolgte des Naziregimes (VdN) eingestuft.[18] Sie heiratete den Journalisten Max Kahane. Gemeinsam hatten sie drei Kinder, einen 1948 geborenen Sohn, Peter Kahane und die 1954 geborene Tochter Anetta Kahane. In den ersten Jahren nahmen sie Haushalt und Kindererziehung in Anspruch. Von 1951 bis 1955 studierte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.[12] Sie arbeitete als freie Künstlerin,[3] an der Karl-Marx-Allee hatte sie ein eigenes Atelier.
Die Familie zog 1957 für drei Jahre nach Neu-Delhi, wo Max Kahane als Auslandskorrespondent für Zeitungen der DDR tätig war. Zweimal reiste sie als Dolmetscherin nach Vietnam. 1962/1963 verbrachte sie neun Monate mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Brasilien. Als eine Vertreterin der „Kulturschaffenden“ der DDR hielt sie sich in den 1960er und 70er Jahren mehrmals auch in anderen Ländern Lateinamerikas auf. Bis zu ihrem Tod mit 55 Jahren lebte sie mit ihrer Familie in Berlin-Pankow.[3][19] Sie wurde auf dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden in Berlin-Mitte beigesetzt.[20]
Werk
Doris Kahane malte, war als Grafikerin sowie Keramikerin tätig, illustrierte Bücher mit Holzschnitten und gestaltete Plakate.[21]
Ihre Eindrücke von allen Stadien des Emigrantendaseins und im Lager Drancy hielt sie in Skizzen fest, die sie später ausarbeitete.[3] Es entstanden eine Serie von Zeichnungen mit dem Titel Menschen im Lager sowie Studien von Kindern, die gleich nach ihrer Ankunft im Lager von den Eltern getrennt wurden,[22] wie die Zeichnung Abtransport jüdischer Kinder nach Auschwitz, Drancy 1944.[3] Ihre Bilder mit Bezug zu dieser Zeit zeugten, so Rita Thalmann, von ihrem intensiven Leiden, das möglicherweise zu ihrem frühen Tod beigetragen habe.[11]
Zwischen 1960 und 1970 förderte die DDR-Führung den Austausch zwischen Künstlern und Intellektuellen der DDR und denen Lateinamerikas, der neben kulturellen und kulturpolitischen Interessen vor allem ideologischen Zielsetzungen diente. Doris Kahane zählte zu denjenigen Künstlern, die das Ausland bereisen durften und die Möglichkeit erhielten sich über einen längeren Zeitraum in einem lateinamerikanischen Land weiterzubilden.[23] Berichte von diesen Reisen mussten beim Ministerium für Kultur vorgelegt werden. Sie unternahm ausgedehnte Studienreisen nach Chile, Ecuador, Kuba und Argentinien. Im Verlauf ihrer Kuba-Reise von 1966 schuf sie das Ölgemälde Kubanische Studentin (Nancy), ein Porträt der kubanischen Künstlerin Nancy Torres.[24] Die Landschaft Kubas inspirierte ostdeutsche Künstler wie Doris Kahane, Lea Grundig oder Gerhard Kettner zu „sinnlichen Kompositionen“. Noch zwei Jahre vor ihrem Tod malte Kahane das Pastell Roter See (Moa Moa).[25] In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur und dem Verband Bildender Künstler der DDR veranstaltete die Universidad de Chile 1967 in ihrem großen Ausstellungssaal eine „repräsentative Grafikausstellung der DDR“ mit hundert Blättern, die überwiegend aus Arbeiten von Kahane bestand. Die Ausstellung wurde bis Ende desselben Jahres in Montevideo (Uruguay) sowie Rio de Janeiro (Brasilien) gezeigt und von Doris Kahane mit Vorträgen begleitet. Ihre Aufgabe war es, Beziehungen zu den lateinamerikanischen Verbänden auszubauen und zu festigen.[26] Sie gehörte mit Wolfgang Frankenstein zu den wenigen Künstlern, die Chile unter der Präsidentschaft Salvador Allendes 1971 auf einer kulturpolitischen Reise besuchten.
Doris Kahane war Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR. Sie hatte in der DDR und im Ausland eine bedeutende Zahl von Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, u. a. von 1962 bis 1978 in Dresden an der Fünften und VI. Deutsche Kunstausstellung und der VII. und VIII. Kunstausstellung der DDR. Fünf ihrer Bilder befinden sich im Kunstarchiv Beeskow,[12] weitere Werke im Archiv der Akademie der Künste und im Privatbesitz ihrer Familie.
Helmut Diehl: Die Malerin Doris Kahane (mit Abbildungen der Werke Büffelchen, Junges Mädchen, Annettchen träumt (farbig), Vom Ich zum Wir, Vietnamesische Mutter, Indische Bäuerin), in: Das Magazin, Heft 07/1961, S. 54–56
Edith Krull: Zwischen Sinnbild und Naturform. Zum Schaffen der Malerin und Grafikerin Doris Kahane. In: Bildende Kunst (Zeitschrift), Berlin, 1967, S. 151–154
Doris Kahane – eine Künstlerin im Lager Drancy. Aufgeschrieben von ihrem Ehemann Max Kahane, 1993, in: Inge Lammel (Hrsg.): Jüdische Lebenswege. Ein kulturhistorischer Streifzug durch Pankow und Niederschönhausen, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Hentrich & Hentrich, Berlin 2007, ISBN 978-3-938485-53-8, S. 48/49
↑Klemperer, Victor: Curriculum Vitae. 1. Auflage. Band1. Rütten & Loening, Berlin 1989, ISBN 3-352-00247-9, S.52ff.
↑Kreisarchiv des Landkreises Ostprignitz-Ruppin; Neuruppin, Deutschland; Personenstandsregister Landkreis Ostprignitz-Ruppin Urkunde Nr. 21
↑Walter Nowojski and Christian Löser, Herausgeber: Sonnabend früh 6 Oktober; Fußnoten 1. In: Klemperer Online: Tagebücher 1918–1959. De Gruyter Oldenbourg, 2019, abgerufen am 30. Dezember 2021.
↑Helmut Diehl: Die Malerin Doris Kahane, s. Literatur, ebd. S. 54. Ebenso Max Kahane, S. 40. Nach einer anderen Quelle sei sie 1936 emigriert: Malerei in der DDR, 1945–1970, hrsg. Staatliche Galerie Moritzburg, Halle 1987, ISBN 3-86105-016-1
↑ abRita Thalmann: Jewish Women exiled in France After 1933. In: Sibylle Quack (Hrsg.): Between Sorrow and Strength. Women Refugees of the Nazi Period, Cambridge University Press, 2002, ISBN 978-0-521-52285-4, S. 55–56
↑Ulla Plener (Hrsg.): Frauen aus Deutschland in der französischen Résistance. Eine Dokumentation. Edition Bodoni, Berlin 2005, ISBN 3-929390-90-6, S. 284
↑Gottfried Hamacher: Gegen Hitler. Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland«, Kurzbiografien. Karl Dietz Verlag Berlin 2005, ISBN 3-320-02941-X, S. 92
↑Hélène Roussel: German-speaking Artists in Parisian Exile, in: Ines Rotermund-Reynard (Hrsg.): Echoes of Exile. Moscow Archives and the Arts in Paris 1933–1945, de Gruyter, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-029058-5, S. 25
↑Rita Thalmann: Jewish Women exiled in France After 1933. In: Sibylle Quack (Hrsg.): Between Sorrow and Strength. Women Refugees of the Nazi Period, Cambridge University Press, 2002, ISBN 978-0-521-52285-4, S. 56
↑im Privatbesitz von Max Kahane, in: Kenzler ebd. S. 231
↑Im Besitz von Max Kahane, in: Kenzler, ebd., S. 226
↑Marcus Kenzler: Der Blick in die andere Welt. Einflüsse Lateinamerikas auf die Bildende Kunst der DDR, Teilband 1, Lit Verlag, Berlin/Münster 2012, ISBN 978-3-643-11025-1, S. 140, 254
↑Christian Borchert u. a. (Hrsg.): Victor Klemperer. Ein Leben in Bildern, Aufbau-Verlag, Berlin 1999, ISBN 978-3-351-02399-7, S. 173, 196
↑Unsere Kunst im Spiegel der Kritik, hrsg. vom Verb. Bildender Künstler Deutschlands, Henschel Verlag, Berlin 1969, S. 98