Seit 1978 arbeitet Benedict Tonon als freischaffender Architekt. Zuvor hatte er als Angestellter von Josef Paul Kleihues gearbeitet, dort unter anderem an der Wohnbebauung am Vinetaplatz.[1] Zwischenzeitlich übernahm er Aufgaben im Büro von Oswald Mathias Ungers, so zum Beispiel beim Entwurf der IBA-Bebauung am Lützowplatz in Berlin.[2] Bis 1992 betrieb Tonon ein gemeinsames Architekturbüro mit Klaus Theo Brenner. Von 1994 bis 2010 war Tonon Professor im Fach Grundlagen der Baukonstruktion und Entwerfen an der Berliner Universität der Künste (bis 2001 Hochschule der Künste HdK).[3] Ein besonderes Interesse von Benedict Tonon ist die Verknüpfung von Theorie und Praxis des Entwerfens. Er promovierte 2017 zum Dr. Phil. an der Universität der Künste.[4] Die Dissertationsschrift wurde 2021 mit dem Titel Architektur – eine hermeneutische Kunst veröffentlicht. In dem Buch setzt sich Tonon auseinander mit den Verflechtungen von Philosophie, Architektur, Gestaltung und Wahrnehmung.[5]
Werk
Das Werk von Benedict Tonon ist eins der herausragenden Beispiele für eine Architektur, die der Kunsthistoriker Heinrich Klotz als die „Revision der Moderne“[6] bezeichnet. Bei dieser zeitgenössischen Form von Architektur geht es den Planenden darum, einen reflexiven Blick auf die Architekturgeschichte zu richten – also eine Form von Rückbesinnung zu ermöglichen – ohne dabei in postmoderne Beliebigkeit oder Eklektizismus zu verfallen.
Im Rahmen der der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 (IBA 87) entwickelten und erprobten Tonon/Brenner den Planungsansatz einer reflexiven Moderne anhand zweier Projekte in Berlin-Tiergarten. Eines der Ziele der Bauausstellung bestand darin, in der Berliner Innenstadt öffentliche und private Räume mit individuellem Charakter zu schaffen, ganz anders als es die „soziale Logik des Allgemeinen“[7] in der Hochphase der Moderne noch verlangte.[8] Diesem neuen Paradigma entsprechend, entstand für die Situation des Hotel Berlin, Berlin eine neue stadträumliche Interpretation: Tonon und Brenner – nur für den städtebaulichen Entwurf und die Fassade zuständig – entwarfen einen Hoteltrakt, welcher in einem Kurvenverlauf die Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße zur Schillstraße herumführt und so den historischen Stadtraum des zerstörten Lützowplatzes wieder herstellt. Für das IBA-Projekt Villenquartier Rauchstraße in Berlin-Tiergarten, welches dem sozialen Wohnungsbau die historische Referenz eines kleinteiligen Maßstabs als Orientierungspunkt vorgab, entwarfen Tonon und Brenner eine Stadtvilla an der Thomas-Dehler-Straße (1982–1984).[9]
Präsent im Berliner Stadtbild sind vier Brücken, die nach Entwürfen von Tonon errichtet wurden. Zusammen mit Brenner – ebenfalls im Rahmen der IBA – realisierte Tonon den Hiroshimasteg über den Landwehrkanal (1986–1987).[10] Etwas außerhalb der Stadt, in Dreilinden, steht die Königswegbrücke (1995–1997). Deutlich sichtbar in der Innenstadt sind hingegen die Marschallbrücke über die Spree in Berlin-Mitte (1995–1998) sowie der Anhalter Steg über den Landwehrkanal (1999–2001).[11]
Unklar ist die Beteiligung von Tonon am Neubau des Bauhaus-Museums am Stéphane-Hessel-Platz in Weimar. Der Wettbewerbsentwurf wurde 2012 als ein gemeinsamer Beitrag von Heike Hanada und Benedict Tonon eingereicht. Die weitere Entwurfsplanung und Ausführung gelten jedoch als Werk von Hanada allein. Dieser Umstand allein wäre nicht weiter diskussionswürdig, wenn sich der realisierte Museumsbau nicht so stark vom Wettbewerbsentwurf unterscheiden würde. Zudem wurde die hermetische Monumentalität des ausgeführten Baus nach dessen Eröffnung 2019 kontrovers diskutiert.[12]
↑Heinrich Klotz, Volker Fischer, Deutsches Architekturmuseum: Revision der Moderne : postmoderne Architektur 1960-1980. Prestel-Verlag, München 1984, ISBN 3-7913-0664-2.
↑Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten zum Strukturwandel der Moderne. 1. Auflage. Berlin 2017, ISBN 978-3-518-58706-5, S.17.
↑Sowohl die Kriegszerstörung als auch der organische Funktionalismus der Nachkriegsjahrzehnte hatten das Berliner Stadtgefüge auf eine Weise geprägt, die in den späten 1970er Jahren und frühen 1980er Jahren als zunehmend Ort-los empfunden wurde. Hier knüpften Tonon und Brenner mit ihrer Idee zu einer stadträumlichen Erweiterung des Hotel Berlin am Lützowplatz an (1986–1987). Der ursprüngliche Hotelbau von Schwebes und Schoszberger aus den 1950er Jahren war gewissermaßen symbolisch für Berlin und das Freiheitsversprechen der modernen Architektur des Wiederaufbaus – ein freistehender Riegel in einer quasi leergeräumten Stadt. Dies stand im Kontrast zu dem städtebaulichen Ideal der IBA. Der Paradigmenwechsel im Städtebau der 1980er Jahre bedeutete, sich davon zu verabschieden, Gebäude als Objekte im freien Raum zu entwerfen. Stattdessen sollte die Stadt als komplexes Geflecht aus Wegen, Räumen und sozialen Strukturen behandelt werden.
↑Das Gebäude öffnet sich auf der Südseite – mit großen Fenstern und Balkonen – zur Parkanlage, die sich zwischen den Stadtvillen befindet. Obwohl die Grundform dieses Hauses aus einem regelmäßigen Viereck besteht, besitzen die einzelnen Wohnungen jeweils sehr unterschiedliche Zuschnitte. Wie bei allen Einzelbauten in diesem Projekt ging es darum, die Erfahrung des Wohnens in einer Villa zu ermöglichen – und das mit den Mitteln des sozialen Wohnungsbaus. Bei der eigentlichen Gebäudeplanung vermeidet der Bau von Brenner und Tonon jedoch – anders als die meisten anderen Entwürfe des Stadtvillen-Quartiers – Symmetrieachsen und historische Bezüge auf vergangene Jahrhunderte. Historische Referenzen finden sich in städtebaulicher Konfiguration und Bautyp der Stadtvilla, nicht jedoch bei der eigentlichen Gestaltung des Gebäudes.
↑Bei diesem Projekt handelt es sich um den Wiederaufbau der ehemals an dieser Stelle vorhandenen Lützowbrücke. Das historische Bild der Brücke verwandelten Tonon und Brenner – herstellungsästhetisch mit den technischen Mitteln der Gegenwart erschlossen – in eine zeitgenössische Konstruktion.
↑Mit dem Anhalter Steg evoziert Tonon die historische Atmosphäre des Ortes, indem er das verfügbar gewordene, historische Artefakt eines Bogentragwerks von einer Brücke aus des 19. Jahrhunderts zum Einsatz brachte: Als Mittelsegment des Anhalter Stegs dient die historische, niettechnisch hergestellte Konstruktion und kontrastiert so mit den Seitensegmenten des Anhalter Stegs; denn bei den Seitensegmenten handelt es sich um vorgespannte Vierendeelträger einer schweißtechnisch hergestellten Brücke der Gegenwart.