Die Eigenbezeichnung der Armenier, Hajer, und die Fremdbezeichnung Armen gehen auf einige der frühesten Volksstämme in der späten Bronzezeit zurück, die im armenischen Hochland politische Organisationsformen bildeten: die Ḫajaša im 15. bis 13. Jahrhundert v. Chr. im Nordwesten und die Arme-Shupria im 13. bis 12. Jahrhundert v. Chr. im Südwesten. Der Begriff Armen, womit Griechen und Perser in der Antike das armenische Hochland und seine Bewohner bezeichneten, taucht erstmals am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. beim griechischen Historiker Hekataios von Milet und um 520 v. Chr. in der dreisprachigen Behistun-Inschrift des Achämenidenkönigs Dareios I. auf. Andere Völker der Umgebung verwendeten ebenfalls die Bezeichnung Armen, während die Georgier im Mittelalter die Armenier Somekhi und ihr Land Somkheti nannten.[2]
Vorgeschichte
Die älteste nachgewiesene Sprache im Gebiet des späteren Armeniens ist Urartäisch, das seit Ende des 9. Jahrhunderts v. Chr. schriftlich überliefert ist. Es ist mit dem Hurritischen verwandt; beide Sprachen sind im Gegensatz zum Armenischen keine indogermanischen Sprachen.[3]
Einige Forscher und Linguisten vermuten die Urheimat der indogermanischen Sprachen und somit auch des Armenischen im heutigen Armenien oder einer diesem nahen Region Kleinasiens (Anatoliens).[4] Eine genetische Studie unterstützt das zuvor allein auf Gründungsmythen beruhende Entstehungsdatum des armenischen Volkes vor etwa 4500 Jahren und die Theorie des armenisch-anatolischen Ursprungs der indogermanischen Sprachen.[5] Armenier haben des Weiteren eine nahe Verwandtschaft mit antiken sowie heutigen Völkern Anatoliens, Süd- und Südosteuropas und des Irans.[6] Gamkrelidze und Ivanov halten die Armenier für Ureinwohner Ostanatoliens.[7]
Die armenische Sprache bildet einen eigenen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie. Lexikalischen Untersuchungen zufolge ist das Armenische mit dem Griechischen und indoiranischen Sprachen verwandt.[8]
Der sowjetische Orientwissenschaftler I.M. Djakonow[9] plädierte 1968 für die These von einer Einwanderung der Armenier bereits vor dem Entstehen des urartäischen Reiches, da dieses eine Barriere für eine spätere Einwanderung dargestellt hätte und im Falle einer Einwanderung während des Bestehens dieses Reiches Dokumente vorliegen müssten, die von der Einwanderung kündeten. Paul E. Zimansky[10] hält es dagegen für wahrscheinlich, dass Armenier aus dem Gebiet der Muški im Westen unter Rusa II. im 7. Jahrhundert v. Chr. deportiert wurden und so in das Gebiet des Vansees gelangten.
Unter Sarduri II. wurden in Urartu die sogenannten šurele vom Militärdienst befreit. Djakonow[11] sieht in ihnen ethnische Urartäer. Danach bestand das Heer vor allem aus den hura dele (LUA.SI), den Kriegern, die vielleicht der deportierten Bevölkerung Urartus entstammten (A.SI.RUM). Djakonow nimmt an, dass diese deportierten Bewohner „Proto-Armenier“ waren,[11] und setzt die zur Zeit von Tiglat-Pilesar I. im Tur Abdin nachgewiesenen Muški mit den Armeniern gleich.[11] Kapantsan versuchte, hethitische Lehnworte im Armenischen nachzuweisen.
Nachdem das Kernland von Urartu im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. ein Teil des Mederreiches geworden war, regierte dort ein verbündeter König aus dem Geschlecht der Orontiden. Der griechische Geschichtsschreiber Hekataios von Milet nennt um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. erstmals die Armenoi als Herren über das frühere Urartu.[12]
Die Armenier selbst sehen Hayk als ihren legendären Stammvater an. Dieser soll nach einem Bericht des spätantiken armenischen Historikers Moses von Choren mit seiner Familie aus Babylon in die Region um den Ararat ausgewandert sein. Nach ihm nennen sich die Armenier selbst Hay und ihre Nation Hayastan.[13] Dies ähnelt auffällig dem Namen des Reiches Ḫajaša, das aus hethitischen Quellen für das 2. Jahrtausend v. Chr. im nordöstlichen Anatolien belegt ist.[14]
Historisch ist Armenien seit dem 18. Jahrhundert in Ostarmenien (unter persischer, später russischer Herrschaft) und Westarmenien (unter osmanischer Herrschaft) aufgeteilt. In Ostarmenien lösten russische Pogrome Ende des 19. Jahrhunderts eine Auswanderungswelle nach Westeuropa aus.[16] Die Westarmenier wurden durch den Völkermord, den die Osmanen während des Ersten Weltkrieges verübten, in ihrem angestammten Siedlungsraum nahezu ausgelöscht. Die bestehende Republik Armenien entstand nach dem Ersten Weltkrieg und wurde 1921 in die Sowjetunion eingebunden, nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte sie sich 1991 für unabhängig.
Im Osmanischen Reich, aus dem der heutige Staat Türkei hervorging, spielten Armenier in Staat und Gesellschaft oft eine ähnliche Rolle wie die phanariotischenGriechen und übernahmen nach der griechischen Unabhängigkeit 1823 zum Teil sogar deren Rolle als loyale Staatsdiener. Armenier hatten hohe Staats- und Regierungsämter inne und bildeten einen wichtigen Teil des diplomatischen Corps des Osmanischen Reiches. Von 1860 bis 1915 war der osmanische Gouverneur der autonomen Provinz Libanon in der Regel ein Armenier.
Die Armenier wurden im Osmanischen Reich schon von 1894 bis 1895 und im Jahr 1909, besonders aber von 1915 bis 1918 verfolgt. Zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Menschen fielen im Ersten Weltkrieg dem Völkermord an den Armeniern zum Opfer. Eine Anzahl von Armeniern konnte fliehen und siedelte sich in Kaukasus-Armenien an. Einige wurden von Türken und Kurden aufgenommen und versteckt. Etwa 50.000 Armenier leben noch heute in der Türkei, die Mehrheit von ihnen in Istanbul.
In den landesweiten gegen nichtmuslimische Minderheiten gerichteten Pogromen, die die Regierung von Ministerpräsident Adnan Menderes in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 inszenierte, waren neben Griechen, Juden und Aramäern auch Armenier die Opfer. Die armenische Gemeinde Istanbuls, die von der Verhaftungswelle im April 1915 weitgehend verschont geblieben war, verließ daraufhin wie auch die griechische Bevölkerung in großer Zahl die Stadt. Der Großwesir des Osmanischen Reiches, Damad Ferid Pascha, räumte im Jahr 1919 Verbrechen an den Armeniern ein.[17] Dennoch wurde und wird die systematische Verfolgung der Armenier von türkischen Regierungen immer wieder geleugnet. Die Anerkennung des Völkermordes wird sogar von Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht.[18][19]
Nach den traumatischen Ereignissen des Völkermords hatte der 1933 erschienene Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh von Franz Werfel eine identitätsstiftende Bedeutung für die Armenier und ihre Diaspora. Die armenische Gedenkstätte Zizernakaberd erinnert mit einer Gedenktafel daran.
Sprache
Die armenische Sprache bildet einen Zweig innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie. Zunehmend wird anerkannt, dass die relativ nahe Verwandtschaft mit dem Griechischen eine gemeinsame Ursprache bedingt, die – die Vorläufer des Albanischen einschließend – als Balkanindogermanisch bezeichnet wird. Der Phonologe Jan Henrik Holst nimmt an, dass sich dieses zunächst in das Albano-Griechische einerseits und das Armenische andererseits teilte[20]. Erst später hätten sich das Albanische, das Griechische, das Phrygische und das Makedonische als Einzelsprachen ausgegliedert[21], was wiederum die Sprachverwandtschaft des Armenischen zum spätestens im 7. Jahrhundert ausgestorbenen Phrygischen erklärt, das ebenfalls in Anatolien, westlich von Armenien, gesprochen wurde.
Seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts existiert die armenische Schriftsprache. Das armenische Alphabet wurde im Jahr 406 von Mesrop Maschtoz, einem Mönch, im Auftrag des Königs und KatholikosSahak Parthev geschaffen und bestand zunächst aus 36 Buchstabenzeichen. Zur Schreibung fremder Laute wurden im 11. und 12. Jahrhundert zwei weitere Zeichen ergänzt.[16] Das armenische Alphabet ist seither nahezu unverändert gebräuchlich.
Der größte Teil der in Frankreich lebenden Armenier wanderte von 1915 bis 1921, also zur Zeit des Völkermordes, ein. Gegenwärtig leben dort nach amtlichen Schätzungen etwa 600.000 Menschen armenischer Herkunft,[22] davon in Paris etwa 100.000. Sie gehören zu verschiedenen Religionsgruppen.
In Deutschland leben etwa 50.000 bis 60.000 Armenier;[23] darunter ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien, die seit den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland einwanderten, Flüchtlinge, die während und nach der Islamischen Revolution aus dem Iran nach Deutschland kamen, und jene Armenier, die während und nach der Perestroika aus verschiedenen Gründen aus der ehemaligen Sowjetunion auswanderten (als gut ausgebildete Spezialisten, politische Flüchtlinge, Asylbewerber, Ehepartner von Russlanddeutschen).
Die Überweisungen von Auslandsarmeniern an Verwandte im armenischen Mutterland spielen eine wichtige Rolle in der sogenannten Übertragungsbilanz mehrerer Staaten. Die Republik Armenien profitiert von einer Vielzahl von Geldüberweisungen im Ausland lebender Armenier.
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Edmund Herzig, Marina Kurkchiyan (Hrsg.): The Armenians. Past and Present in the Making of National Identity. London, New York 2004.
Wilhelm Litten: Der Todesgang des armenischen Volkes. In: Persische Flitterwochen. Verlag von Georg Stilke, Berlin 1925, S. 293–329.
Razmik Panossian: The Armenians: From Kings and Priests to Merchants and Commissars. Columbia University Press, New York 2006, ISBN 978-0-231-13926-7.
Maciej Popko: Völker und Sprachen Altanatoliens. Otto Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-447-05708-0, 4.3.3 Armenier, S.142ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – polnisch: Ludy i języki starożytnej Anatolii.).
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Armin T. Wegner: Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste. Ein Lichtbildervortrag. Augenzeugenbericht/Dokumentation (215 S., 103 Abb.), Hrsg.: Andreas Meier, Vorwort: Wolfgang Gust, Wallstein Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-89244-800-6.
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Kai Merten: Untereinander, nicht nebeneinander: Das Zusammenleben religiöser und kultureller Gruppen im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts (= Marburger religionsgeschichtliche Beiträge. Band 6). LIT Verlag, Münster 2014, ISBN 978-3-643-12359-6, S. 47–451 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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↑Hamlet Petrosyan: In the Beginning. In: Levon Abrahamian, Nancy Sweezy (Hrsg.): Armenian Folk Arts, Culture, and Identity. Indiana University Press, Bloomington 2001, S. 11, 13.
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↑Igor Michailowitsch Djakonow: Predystorija armjanskogo naroda (Die Vorgeschichte des armenischen Volkes). Jerewan 1968.
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