Albert Steffen wurde als drittes von sechs Kindern eines Landarztes geboren. Mit fünf Jahren verlor er seinen um zwei Jahre älteren Bruder. Die Primarschule besuchte er in Wynau, die Sekundarschule in Langenthal. Mit vierzehn Jahren kam er nach Bern, um die Aufnahmeprüfung in das Gymnasium zu bestehen; er fiel zunächst durch und gelangte nur in die Quarta anstelle der Tertia. Er fühlte sich zurückgesetzt, schämte sich und zog sich in die Einsamkeit zurück. Seine Gedanken und Gefühle vertraute er dem Tagebuch an – das er bis zu seinem Tod führte – und begann so seine schriftstellerische Tätigkeit. 1904 bestand er die Matura. In Lausanne studierte er ab 1904 auf Wunsch des Vaters, der ihm seine Arztpraxis übergeben wollte, Medizin. In Auseinandersetzung mit dem Medizinstudium geriet Steffen in eine existentielle Krise, in deren Verlauf er sich entschloss, Dichter zu werden und durch das Wort therapeutisch zu wirken. Er beschäftigte sich intensiv mit Nietzsche und Dostojewski. Dagegen befriedigte ihn das naturwissenschaftliche Studium nicht: «(...) die Natur erlöste mich nicht». Im April 1905 begann er ein geisteswissenschaftliches Studium in Zürich, das er ab Herbst 1906 in Berlin weiterführte.
«Es war mir eindeutig bewusst geworden, dass ich, wenn ich nicht verkümmern sollte, Dichter werden musste, worunter ich allerdings etwas verstand, was es heutzutage kaum mehr gibt, nämlich eine Synthese von Wissenschaft, Kunst und Religion auf der Grundlage der grossen Menschheitsideen.» (aus: Mein Lebensentschluss)
In Berlin schickte er seinen ersten Roman Ott, Alois und Werelsche dem Berliner Verleger Samuel Fischer, der ihn tatsächlich veröffentlichte und damit Steffen als neuen Schweizer Dichter bekannt machte. 1907 hörte er in Berlin den ersten Vortrag Rudolf Steiners, begegnete ihm persönlich jedoch erst knapp vier Jahre später in München, wo er zwischen 1908 und 1920 lebte. Hier entstanden auch vier weitere Romane, die alle vom S. Fischer Verlag veröffentlicht wurden.
In München lernte Albert Steffen den polnischen Maler Stanislaus Stückgold mit dessen Frau Elisabeth und der schwerbehinderten Tochter Felicitas kennen. 1920 ging Elisabeth Stückgold in Begleitung von Albert Steffen nach Dornach, um von Steiner Rat für die Tochter zu erbitten. Dort übernahm Steffen auf Wunsch Steiners die Redaktion der neu gegründeten Wochenschrift Das Goetheanum, die er bis zu seinem Tode beibehielt.
Zur Jahreswende 1923/24 ernannte Steiner Albert Steffen zum stellvertretenden Vorsitzenden der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Wegen der immer engeren Verbindung Steffens mit der Anthroposophie wurden die Werke Steffens ab 1919 nicht mehr vom S. Fischer Verlag herausgegeben, worauf Steffen 1928 einen eigenen Verlag, den Verlag für schöne Wissenschaften, gründete.
1925, nach Rudolf Steiners Tod, wurde er Vorsitzender der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. 1935 heiratete er die inzwischen verwitwete Elisabeth Stückgold (1889–1961). Albert Steffen lebte von 1936 bis zu seinem Tod im Haus der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft am Unterer Zielweg 36 in Dornach.
Im Juni 1946 veröffentlichte er mit dem Nationalrat Emil Anderegg einen Aufruf an das Schweizervolk mit der Forderung, die Schweiz im Sinne Henri Dunants zu einer politisch neutralen «Oase der Menschlichkeit» zu gestalten.
1951 erhielt er für seinen Roman Aus Georg Archibalds Lebenslauf und nachgelassenen Schriften einen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung.
Albert Steffen starb am 13. Juli 1963 im Alter von 79 Jahren. Sein Nachlass wird von der Albert Steffen Stiftung in Dornach verwaltet.
Bewertung seines literarischen Schaffens
Anders als das lyrische Werk von Christian Morgenstern, dem bekanntesten Dichter in der Frühgeschichte der anthroposophischen Bewegung, ist Albert Steffens literarisches Schaffen, selbst in seinen Hauptwerken, ausserhalb der Anthroposophie kaum (mehr) bekannt. Er gehört trotz seines umfangreichen Œuvres zu den vergessenen Schweizer Dichtern des 20. Jahrhunderts, zusammen etwa mit Alfred Fankhauser, Siegfried Lang oder Otto Wirz.
Seine literarische Qualität ist unter Fachleuten umstritten. Während sein Werk von Germanisten wie Walter Muschg[1] oder Fritz Strich[2] und dem österreichischen Philologen Friedrich Hiebel – Anthroposoph und Freund Steffens – als wesentlicher Teil literarischer Neuerungen innerhalb des 20. Jahrhunderts gesehen wurde, wertete Emil Ermatinger seine frühen Dichtungen als «zarte Blüten einer reingestimmten Seele», seine späteren dagegen als «künstliche Glasblumen, deren helle Durchsichtigkeit nicht die Rätsel des Lebens, sondern die Gemeinlehren einer religiösen Sekte erschliesst».[3] Andere machten in seinen Werken «oft genug (...) Gestalten ohne individuelles Leben, also blosse Allegorien» aus.[4]
Daneben hat Steffens Bühnenstück Der Sturz des Antichrist – nebst einzelnen Gedichten – durch die Vertonung des Komponisten Viktor Ullmann eine gewisse Popularität erfahren. Nach der Wiederaufführung dieses Mysterienspiels 1995 in Bielefeld ist es 2008 vom Theater Greifswald neuinszeniert worden.
Werke
Originalausgaben
Romane (und romanähnliche Werke)
Ott, Alois und Werelsche, S. Fischer, Berlin 1907
Bestimmung der Roheit, S. Fischer, Berlin 1912
Die Erneuerung des Bundes, S. Fischer, Berlin 1913
Der rechte Liebhaber des Schicksals, S. Fischer, Berlin 1916
Sibylla Mariana, S. Fischer, Berlin 1917
Lebensgeschichte eines jungen Menschen, Schöne Wissenschaften, Dornach 1928
Wildeisen, Dornach 1929
Sucher nach sich selbst, Dornach 1931
Aus Georg Archibalds Lebenslauf und nachgelassenen Schriften, Dornach 1950
Oase der Menschlichkeit, Dornach 1954
Altmanns Memoiren aus dem Krankenhaus, Dornach 1956
Dreiunddreissig Jahre, Dornach 1959
Mission der Poesie, Dornach 1962
Dramen
Der Auszug aus Ägypten - Die Manichäer. Zwei Dramen, S. Fischer, Berlin 1916[5]
Das Viergetier. Drama in sechs Akten, Seldwyla, Zürich 1924
Hieram und Salomo. Tragödie in neun Bildern, Dornach 1925
Der Chef des Generalstabs. Drama in fünf Akten, Dornach 1927
Der Sturz des Antichrist. Dramatische Skizze in drei Akten, Dornach 1928. Opernbearbeitung von Viktor Ullmann (Bühnenweihefestspiel in 3 Akten, 1935; UA 1995 Bielefeld)
Das Todeserlebnis des Manes. Drama in fünf Akten, Dornach 1934
Adonis-Spiel / Eine Herbstesfeier, Dornach 1935
Friedenstragödie. In fünf Akten, Dornach 1936
Fahrt ins andere Land. Drama in einem Vorspiel und sieben Bildern, Dornach 1938
Conrad Ferdinand Meyers lebendige Gestalt, Dornach 1937 (erweitert Dornach 1965)
Frührot der Mysteriendichtung, Dornach 1940
Geistige Heimat, Dornach 1941
Krisis, Katharsis, Therapie im Geistesleben der Gegenwart, Dornach 1944
Vorhut des Geistes, Dornach 1945
Wiedergeburt der schönen Wissenschaften, Dornach 1946
Mysterienflug, Dornach 1948
Geist-Erkenntnis / Gottes-Liebe, Dornach 1949
Zu den Farbfenstern des Goetheanum, Dornach 1953
Brennende Probleme, Dornach 1956
Dichtung als Weg zur Einweihung. Zum 100. Geburtstag Rudolf Steiners, Dornach 1960
Erinnerungen, Skizzen und Miniaturen
Bauz. Zwei Erzählungen, Huber (= Schweizer Erzähler 6), Frauenfeld/Leipzig 1916
Die Heilige mit dem Fische. Sieben Novellen, S. Fischer, Berlin 1919
Kleine Mythen, Seldwyla, Zürich 1923
Pilgerfahrt zum Lebensbaum, Seldwyla, Zürich 1925
In Memoriam Rudolf Steiner, Hoenn, Landschlacht 1925
Lebenswende, Dornach 1931
Merkbuch, Dornach 1937
Buch der Rückschau, Dornach 1938
Selbsterkenntnis und Lebensschau, Dornach 1940
Auf Geisteswegen, Dornach 1942
Der Genius des Todes, Dornach 1943
Novellen, Dornach 1947
Aus der Mappe eines Geistsuchers, Dornach 1951
Gedenkbilder für Elisabeth Steffen. Geist-Erinnerungen. Mappe mit Aquarellwiedergaben, Dornach 1961
Lebensbilder an der Todespforte. Skizzen und Miniaturen. Mappe mit Aquarellwiedergaben, Dornach 1963
Übersetzung
Im anderen Land – In another Land. Gedichte gegenseitig übersetzt von Albert Steffen und Percy MacKaye, Dornach 1937
Als Herausgeber
Der Lehrerkurs Dr. Rudolf Steiners im Goetheanum 1921 (zus. mit Walter Johannes Stein), Verlag am Goetheanum, Dornach 1922
Neuausgabe in: Die Anthroposophische Pädagogik (= Einführung in anthroposophische Themen 1), hg. v. Joseph Morel, Novalis/Phil.-Anthr. Verlag, Schaffhausen und Dornach 1983
Aus dem Nachlass
Alle postum erschienenen Werke wurden von der Albert Steffen Stiftung, Dornach, herausgegeben.
Im Sterben auferstehen. Gedichte, 1964
Im Gedenken an Otto Rennefeld. Erinnerungen an den Dichterfreund und Hinweise auf sein Lebenswerk. Essays, 1965
Dante und die Gegenwart. Essays, 1965
Gegenwartsaufgaben der Menschheit. Ausblicke auf die Arbeit der Anthroposophischen Gesellschaft. Essays, 1966
Weihnachtsbilder. Mappe mit drei Essays und sieben farbigen Aquarellwiedergaben, 1966
Geist-Erwachen im Farben-Erleben. Betrachtungen, Skizzen, Erinnerungen. Mit zwölf farbigen Aquarellwiedergaben, 1968
Über den Keimgrund der Mysteriendramen Rudolf Steiners. Essays, 1971
Die Botschaft von Novalis. Essays, 1972
Geistesschulung und Gemeinschaftsbildung. Aufsätze und Ansprachen, 1974
Reisetagebuch. Beobachtungen und Erinnerungen. Skizzen und Aquarelle, 1978
Werkausgabe
Ausgewählte Werke in vier Bänden. Zum 100. Geburtstag des Dichters hg. von Manfred Krüger, Dornach/Stuttgart 1984
Literatur
Robert Faesi: Albert Steffen, in: Gestaltungen und Wandlungen schweizerischer Dichtung. Amalthea, Zürich/Leipzig/Wien 1922, S. 204–232
Paul Bühler: Das Albert Steffen Buch. Dem Dichter zu seinem sechzigsten Geburtstag in Ehrerbietung von seinen Freunden dargebracht. Birkhäuser, Basel 1944
Helga Schmidt: Albert Steffen und sein Werk. Beiträge zu einer Monographie. Diss. phil. Wien 1950
Adelheid Petersen: Albert Steffens Sendung. Phil.-Anthr. Verlag, Dornach 1954
Fritz Strich: Albert Steffen. Rede zur Feier seines 70. Geburtstages. Eirene, St. Gallen 1955
Friedrich Hiebel: Albert Steffen. Die Dichtung als Schöne Wissenschaft. Francke, Bern 1960
Rudolf Meyer: Albert Steffen. Künstler und Christ. Urachhaus, Stuttgart 1963
Dieter Fringeli: Der therapeutische Dichter Albert Steffen, in: Dichter im Abseits. Schweizer Autoren von Glauser bis Hohl. Artemis, Zürich und München 1974, S. 49–64 und 176f
Thomas Ehrsam und Monica Wietlisbach in: Helvetische Steckbriefe. 47 Schriftsteller aus der deutschen Schweiz seit 1800. Bearbeitet vom Zürcher Seminar für Literaturkritik mit Werner Weber, S. 221–227. Artemis, Zürich und München 1981
Herbert Witzenmann: Die Entwickelung der Imagination. Im Gedenken der hundertsten Wiederkehr des Geburtstages Albert Steffens. Gideon Spicker Verlag, Dornach 1984
Ingeborg Woitsch: Bilder des Schicksals. Albert Steffens "Kleine Mythen" - Impulse für die Arbeit an der eigenen Biografie. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1996.