Nach dem Tode Lepsius' 1884 begannen die Auseinandersetzungen mit der Berliner Schule, die er École de Berlin nannte. Die Konflikte mit unter anderem Kurt Sethe, Ludwig Borchardt und Adolf Erman begannen, als Erman zum Nachfolger von Lepsius an Universität und Museum ernannt wurde. Aber auch mit seinem Kollegen vom Egypt Exploration Fund, Flinders Petrie, war er selten einer Meinung.[1]
Naville begann seine Arbeit 1865 als 21-Jähriger, als er Horustexte in Edfu kopierte, die 1870 veröffentlicht wurden. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 assistierte er Eugène Lefébure bei dessen Publikation des Grabes Sethos I. (KV17) und edierte selbst Texte, die zum Ägyptischen Totenbuch gehören. Auf Vorschlag des Londoner Orientalistenkongresses übernahm er die Redaktion an der Litanie du soleil (Sonnenlitanei). Die Texte aus thebanischen Königsgräbern wurden 1875 herausgegeben.
Navilles bedeutendste wissenschaftliche Arbeiten sind aber mit seinen Grabungen verbunden, die er für den Egypt Exploration Fund durchführte. Sie begannen im Januar 1883 mit der Untersuchung von Tell el-Maschuta. Nach Forschungen im Wadi Tumilat 1885–1886, das er als das Land Goschen der Bibel identifizierte, grub er 1886–1889 in Bubastis im Nildelta Reste der Siedlungsschichte der 26. Dynastie aus. Weitere Grabungen führte er 1887 in Tell el-Yahudiya und in Saft el-Henna sowie 1890–1891 in Herakleopolis und 1892 in Mendes und in Tell Mukdam durch.
1893 kehrte Naville nach Oberägypten zurück und legte zwischen 1893 und 1896 den Totentempel der Hatschepsut in Deir el-Bahari frei. Die Dokumentation der Anlage gilt als seine bedeutendste Leistung und war Grundlage für die spätere bauliche Rekonstruktion des Tempels. 1903–1906 folgte die Freilegung des benachbarten TotentempelsMentuhotep II.
Viele seiner Funde aus Bubastis und anderen Grabungsstätten des Nildeltas, darunter der Kopf der Kolossalstatue Amenemhet III. sind heute im British Museum in London zu sehen. Andere Funde seiner Expeditionen bereichern die Museen in Kairo und Boston.
Die Ausgrabungsmethoden von Naville und seine persönliche Einstellung, „die kleinen Dinge interessieren ihn nicht“, führten regelmäßig zum Verlust wertvoller Kleinstfunde. Beispielsweise gingen bei der unvorsichtigen Bergung 1892 in Mendes eine Vielzahl griechischer Papyri verloren, wofür er heutzutage oftmals kritisiert wird.[2]
Veröffentlichungen (Auswahl)
Mythe d Horus. 1870 (betr. Edfu, Horustexte)
Litanie du soleil. Leipzig 1875 (betr. Texte aus thebanischen Königsgräbern)
The Store-City of Pithom and the Route of the Exodus. 1885 (betr. Grabung in Tell el Maskhuta)
The Temple of Deir el Bahari. (= Egypt Exploration Fund. (EEF) Bände 12–14, 16, 19, 27, 29). 7 Bände, London, 1894–1898
The Transvaal Question: From a Swiss Point of View, London 1900
The XIth Dynasty Temple at Deir el-Bahari. (= EEF, 28, 30, 32) 3 Bände, London, 1907–1913
Discovery of the Book of the Law Under King Josiah: An Egyptian Interpretation of the Biblical Account. London 1911
Cemeteries of Abydos. London 1914
The Text of the Old Testament. London 1915
New Archeological Discoveries, and Their Bearing Upon the New Testament and Upon. London 1917
The Higher Criticism in Relation to the Pentateuch. Transl. with an introd. by John R. Mackay. Edinburgh 1923
Literatur
A. M. Blackmann: Professor Edouard Naville. In: Journal of the Royal Asiatic Society 59, 1927, S. 407–409
Jean-Baptiste Chabot: Éloge funèbre de M. Édouard Naville, associé étranger de l'Académie. In: Comptes-rendus des séances de l'Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 1926, S. 246–250 Volltext
Warren R. Dawson, Eric P. Uphill: Who Was Who in Egyptology. 3rd revised edition by Morris L. Bierbrier. The Egypt Exploration Society, London 1995, ISBN 0-85698-125-7, S. 307–308.
Margaret S. Drower: Flinders Petrie. A Life in Archeology. Gollancz, London 1985, ISBN 0-575-03667-2, S. 274–294.
Adolf Erman: Mein Werden und mein Wirken. Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten. Quelle & Meyer, Leipzig 1929 (Nachdruck. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-8364-1338-1).
Thomas Gertzen: Henri Édouard Naville (1844–1926). Ein Ägyptologe der „Alten Schule“. In: Kemet. 15, Heft 4, 2006, ISSN0943-5972, S. 70ff.
H. R. Hall: Édouard Naville. In: Journal of Egyptian Archaeology 13, 1927, S. 1–6.
Barbara Lüscher: Auf den Spuren von Edouard Naville. Beiträge und Materialien zur Wissenschaftsgeschichte des Totenbuches. Orientverlag, G. Lapp, Basel 2014, ISBN 978-3-905719-25-3. (Totenbuchtexte. Supplementa; 1).
Denis van Berchem: L'Égyptologue Genevois Édouard Naville. Années d'études et premiers voyages en Egypte 1862–1870. Journal de Genève u. a., Genf 1989, ISBN 2-8257-0182-3.
↑Denis van Berchem: L’Égyptologue Genevois Édouard Naville. Années d’études et premiers voyages en Egypte 1862–1870. Journal de Genève u. a., Genf 1989, ISBN 2-8257-0182-3.
↑Margaret S. Drower: Flinders Petrie. A Life in Archeology. Gollancz, London 1985, ISBN 0-575-03667-2, S. 274–294.